Die Obamas
Tagesordnung und sorgfältig ausgewählten Teilnehmern. Diese Steifheit und der Verzicht auf spontane, zwanglose Gespräche machte Obama ungeduldig, ärgerlich und begierig auf Information. Weil er nicht mit mehr als einer Handvoll von Freunden E-Mails austauschen konnte, überflog er die Schlagzeilen der Internetausgabe der
New York Times
auf seinem klobigen hackersicheren Nachbau eines BlackBerrys. Das Gerät war eigentlich für das Militär entwickelt und war nicht gerade auf dem neusten technischen Stand. Die ganze Situation war schwer zu verkraften für einen Politiker, der mehr als jeder vor ihm die digital vernetzte Welt in seine Wahlkampagne einbezogen hatte. »Was gibt’s Neues, Burton?«, fragte er ständig, obwohl Bill Burton, damals sein Pressesprecher, dieselben Artikel las wie er. Sein Stab musste aus Tausenden von Mails, die er erhielt, pro Tag zehn heraussuchen und mit ihm durchsprechen, damit er sich ein unmittelbares Bild davon machen konnte, was die Amerikaner dachten. Zehn Mails schienen verschwindend wenig, aber im Weißen Haus bedeuteten sie etwas, und der Präsident bezog sich ständig auf sie.
Innerhalb all der konzentrischen Kreise, die Obama umgaben – Mitarbeiter, Sicherheitspersonal und dergleichen –, war er noch immer er selbst. Und er hatte immer über die Fähigkeit verfügt, neben sich zu treten und sich selbst zu beobachten, sich kritisch zu hinterfragen. Doch wie sollte ihm das jetzt gelingen, wo ihn alle genau im Auge behielten? Und wie sollte er sich erst ein Urteil über die anderen bilden können? Als er einmal etwas Wichtiges mit Jarrett zu besprechen hatte, fragte er sie zuvor: »Kann ich einfach als dein Freund Barack Obama mit dir reden und nicht als Barack Obama, der Präsident?«
Wenigstens ein Mensch ging normal mit ihm um: seine Frau.
Michelle Obama war nie leicht zu beeindrucken gewesen, und sie hatte so eine Art, den ganzen Pomp, der ihn umgab, »auf die Spitze zu treiben«, wie er es nannte. Über seinen langen Wagenkonvoi machte sie sich lustig. »Das ist wie Postkutsche, Privatwaggon, Hubschrauber, Krankenwagen … und dann der Hundeschlitten«, sagte sie. Als er Ende Februar bei einem kleinen Konzert im East Room Stevie Wonder ansagte, fragte sie sich laut, weshalb er dazu auf ein kleines Podium mit dem Präsidentschaftsemblem steigen müsse. Ob er nicht einfach nur ein Mikrofon nehmen könne? Wenn sie zusammen eine Videobotschaft aufnahmen und er einen Satz vermurkste, zog sie ihn damit auf, und er neckte sie zurück.
Nur Michelle und die Mädchen durften das Oval Office unangemeldet betreten. Anfang März saßen der Präsident und seine Berater einmal bei einer Besprechung, als aus dem Rosengarten helles Gelächter hereindrang. Obama und die anderen traten ans Fenster und schauten zu, wie die Frau des Präsidenten und seine Töchter einander über den verschneiten Rasen jagten. Gleich darauf kamen die drei weiß bestäubt und lachend ins Oval Office gestürmt, um ihm von ihren Abenteuern zu berichten.
Manchmal begrüßte der Präsident seine Frau in einem kurz angebundenen »Ich habe zu arbeiten«-Ton. Normalerweise aber freute er sich riesig, sie einfach am helllichten Tag sehen zu können, nach den langen Jahren der Trennung. Er hatte einen neuen Spitznamen für sie: » FLOTUS « für »First Lady of the United States«, eine Verballhornung von POTUS , dem Akronym seines Amtes. »Na, wie geht’s FLOTUS heute?«, fragte er sie gern. Es war eine alberne Bezeichnung für die Frau, die nachts neben ihm im Bett lag und seine Kinder zur Welt gebracht hatte, aber aus seinem Mund klang sie triumphierend nach »Hab ich’s dir nicht gesagt?«. So lange hatte sie seine Versprechen und Beteuerungen angezweifelt, und jetzt? Jetzt war Michelle Obama – wer hätte das gedacht – Nachfolgerin von Martha Washington und Eleanor Roosevelt.
Ende März trafen sich die Obamas einmal kurz vor einem Empfang für ein schwarzes Medienunternehmen im Red Room. Zusätzlich zu den üblichen Briefings hatte der Präsident an diesem Tag auch zu Abgeordneten aus den Einzelstaaten über das Konjunkturpaket gesprochen und sich mit dem New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, dem kalifornischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger und dem Gouverneur von Pennsylvania, Ed Rendell, über den schlechten Zustand der Verkehrsinfrastruktur unterhalten. Es waren keine Meetings im konventionellen Sinn, bei denen die Teilnehmer an einem Tisch saßen und redeten; sie waren komplett
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