Die Obamas
Napolitano, der Innenministerin, mussten reichen. Obama war schon immer ein Gegner der seiner Ansicht nach zu demonstrativen Inszenierung der Terrorgefahr gewesen, wie George W. Bush sie betrieben hatte. »Farbkodierte Angstmache« hatte er das während seines Wahlkampfs genannt. Er wollte damit vermeiden, einen misslungenen Angriff künstlich aufzubauschen, bei dem die schwersten Verletzungen die Verbrennungen des Attentäters selbst waren. Also hielt er wie immer täglich eine Telefonkonferenz mit seinen nationalen Sicherheitsberatern ab und genoss weiter seine Ferien.
Auch als am Wochenende weitere Details des Vorfalls publik wurden, schwieg der Präsident beharrlich. Der mutmaßliche Attentäter, Umar Farouk Abdulmutallab, war unbemerkt und unkontrolliert an Bord einer amerikanischen Maschine gelangt – obwohl er eigentlich durch sein Verhalten hätte auffallen müssen: Er hatte sein Ticket bar bezahlt und kein Gepäck aufgegeben; außerdem stand sein Name auf einer Liste von Terrorverdächtigen. Selbst sein Vater hatte, aufgeschreckt vom Radikalismus seines Sohnes, die amerikanische Botschaft in Kenia alarmiert, doch niemand hatte ihm das Visum entzogen. Im Fernsehen erklärte Janet Napolitano trotz alledem: »Das System hat funktioniert.« Amerikaner, die im Ausland Urlaub machten, hatten Angst, den Heimflug anzutreten. Natürlich wurde in den Berichten der Nachrichtensender auch erwähnt, dass der Präsident sich in Hawaii am Strand und beim Sport tummelte – Fotos, die ihn im Meer zeigten, machten die Runde. Nur allzu gern stimmten die Republikaner in den Chor der Obama-Kritiker ein. [42]
Es war eine jener Situationen, in denen der Präsident seiner tiefen Überzeugung mehr vertraute als einem taktischen Manöver. In diesem Fall war es zwar durchaus ehrbar, dass er einen anderen Weg einschlagen wollte als sein Vorgänger; doch übersah er in seiner Kritik an Bushs manchmal überzogener »Angstmache«, welches Bild er selbst in den Medien abgab – und ignorierte, wie tief die Angst der Amerikaner tatsächlich saß.
Erst am Montag gelangte der Präsident zu der Überzeugung, dass er in Erscheinung treten müsse. Auf einer Marinebasis am Stadtrand von Honolulu, wo seine Presseabteilung stationiert war, verlas er im Anzug ein vorbereitetes Statement. »Dieser Vorfall zeigt – wie verschiedene andere, die ihm vorausgingen –, dass eine wachsame und mutige Bevölkerung weitaus erfolgreicher ist als ein isolierter Extremist«, sagte er. Sein Statement sollte sich umgehend als unrichtig erweisen. Der mutmaßliche Attentäter war nämlich kein Einzeltäter: Der jemenitische Zweig von al-Qaida übernahm die Verantwortung für Abdulmutallabs Tat, was bedeutete, dass ein bisher unbekannter Zweig der Organisation nun die Amerikaner auf eigenem Boden bedrohte. Am gleichen Abend erfuhren die Berater des Präsidenten, dass der Geheimdienst Hinweise über die Anschlagspläne zwar erhalten, aber nicht weitergeleitet hatte. Nun sah es so aus, als sei der Präsident nicht auf dem Laufenden gewesen, und obendrein erschien die Regierung unfähig. Hinzu kam, dass die angeblich sicheren Telefonleitungen in Obamas Ferienhaus schlecht funktionierten und seine Gespräche mit dem Geheimdienst immer wieder unterbrochen wurden.
Angesichts der neuen Informationslage musste Obama noch einmal vor die Öffentlichkeit treten; er konnte es nicht bei seiner unrichtigen, inzwischen längst überholten Erklärung belassen. Er war dermaßen sauer, dass er sich den Laptop griff, auf dem einer seiner Berater ein neues Statement formulierte, und den Rest verbissen selbst tippte. [43]
Eigentlich hatten die Feriengäste – die Obamas, Nesbitts, Whitakers und die insgesamt neun Kinder – an jenem Tag gemeinsam zum Schnorcheln fahren wollen. Alles war gepackt, und alle außer dem Präsidenten waren schon bei den Fahrzeugen. Die Autokolonne bestand aus Leitfahrzeugen sowie speziellen Wagen für den Präsidenten, das Geheimdienst-Einsatzkommando, das Militärpersonal, den Arzt des Präsidenten, das Überfallkommando, das Wachkommando und die Presse. Hinzu kamen einige Fahrzeuge mit geheimer Funktion, ein Krankenwagen und ein Ersatzwagen für den Präsidenten. Die Gruppe Erwachsener und Kinder in Badeanzügen mit Plastikschnorchel-Ausrüstungen stand unschlüssig herum. Um Obama zu seiner öffentlichen Ansprache zu bringen, musste der komplette Konvoi wieder getrennt werden. Mitarbeiter mühten sich, den Wust aus wartenden Autos neu zu
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