Die Obamas
Hingabe streicheln konnten, was er brav über sich ergehen ließ. »Der Rest der Tour ist genauso spannend«, lachte die First Lady und rauschte davon. [44]
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Im Februar wollte Michelle Obama ihr Gesundheitsprogramm gegen Fettsucht bei Kindern vorstellen und deswegen am 20 . Januar 2010 eine Rede vor Bürgermeistern aus dem ganzen Land halten. Sie wollte um Unterstützung bitten, bevor das Projekt ein paar Wochen später mit einer Großaktion starten sollte. Als sie die Bühne im Ballsaal eines Hotels unweit des Weißen Hauses betrat, spendeten ihr die Anwesenden tosenden Applaus.
Im Vergleich zum Präsidenten, dem man bei öffentlichen Auftritten kaum ansah, wie es um seinen Gefühlshaushalt bestellt war, war die First Lady leichter zu durchschauen. Sie hatte sich noch keine Maske für die Öffentlichkeit zugelegt – keine schwer zu deutende Miene, wie sie die meisten Politiker am Rednerpult oder bei Fernsehauftritten zur Schau stellen. Wenn sie den Reden ihres Mannes zuhörte, wirkte ihr Gesicht manchmal ganz ruhig, fast gleichmütig, der Blick schien leer und weit in die Ferne gerichtet. Aber wenn sie selbst redete, wirkte sie wie angeknipst. Ihre Augen sprühten, die Hände waren immer in Bewegung, ihre Körpersprache vermittelte ihre Gefühlslage: Begeisterung, Skepsis oder heimliches Vergnügen.
Als der Applaus abebbte, begann sie mit ihrer Rede. Der Text war schwungvoll und anfeuernd, wie immer, wenn sie über Bewegung und Ernährung sprach. »Wir sind allesamt angesprochen – Unternehmen und gemeinnützige Organisationen, Gemeinden und Gesundheitszentren; Lehrer und Vertreter der Kirchen; Sporttrainer und Eltern; und vor allem Sie, die Bürgermeister unserer Nation –, alle müssen zusammenarbeiten, damit in den Familien Vernunft einkehrt und unsere Kinder gesund werden und das auch bleiben«, sagte sie. Sie lobte die Bürgermeister, die Pedometer an Kinder verteilten, mit denen sie ihre Schritte zählen konnten, und die Bauernmärkte in Gegenden initiiert hatten, wo bis dahin die Versorgung mit frischem Obst und Gemüse schlecht gewesen war.
Dieser Tag hatte für Michelle Obama ein ganz besonderer werden sollen, ein wichtiger Zwischenschritt bei der Realisierung ihres großen Projekts. Aber die Worte, die aus ihrem Mund kamen, standen in eigentümlichem Widerspruch zu ihrem erschöpften, deprimierten Blick. Sie schien abgekämpft und gereizt. Ihr Auftritt wirkte wie ein Film, der mit der falschen Tonspur unterlegt war.
Auch wenn sie es mit keinem Wort erwähnte, war an ihrem Gesicht abzulesen, was alle wussten: Am Vorabend hatte Scott Brown, ein auf dem politischen Parkett unerfahrener Republikaner, die Wahl um den Senatssitz des verstorbenen Edward Kennedy gewonnen. Damit hatte er der demokratischen Mehrheit die letzte, entscheidende Stimme genommen, mit der die Gesundheitsreform und zahlreiche andere Gesetzgebungsvorhaben des Präsidenten verabschiedet werden sollten. Der Sieg Browns war eine unfassbare Niederlage für die Demokraten: Massachusetts war einer der »blauesten« Staaten im Land, der Senatssitz fest in demokratischer Hand gewesen. Ted Kennedy hatte ihn übernommen, als sein Bruder John Präsident wurde. Ted Kennedy hatte Obamas Weg ins Weiße Haus maßgeblich geebnet, da er sich während der demokratischen Vorwahlen im entscheidenden Augenblick an dessen Seite gestellt hatte. Die Verabschiedung der Gesundheitsreform war Kennedys letzter politischer Wille gewesen. Als das Weiße Haus begriff, dass bei der Neuwahl um den Senatssitz eine Katastrophe drohte, war es bereits zu spät, um Einfluss zu nehmen. Der Präsident versuchte zwar im letzten Augenblick noch in die verpatzte Wahlkampagne einzugreifen und reiste zur Unterstützung an. Doch Martha Coakley, die demokratische Kandidatin, hatte mit ihren dünkelhaften Auftritten und vielen unglücklichen Manövern eine sichere Sache in ein Desaster verwandelt. Niemand hatte auch nur im Traum daran gedacht, dass ein Republikaner Kennedys Sitz ergattern könnte; und niemand verstand, wieso Obamas Mannschaft dies hatte geschehen lassen.
Die Stimmung im Weißen Haus war am Tag nach der Wahl so düster, erinnerte sich ein früherer Mitarbeiter, dass sogar der sonst übliche hektische E-Mail-Verkehr von Büro zu Büro erlahmte, als sei der gesamte Betrieb vollkommen erstarrt. Von einem Augenblick zum anderen war die Verabschiedung der Gesundheitsreform in weite Ferne gerückt – das jedenfalls äußerten die meisten engen Berater, etwa
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