Die Obelisken von Hegira
Erde fortzureiten geplant hatten. „Es ist eine Art von Rakete“, sagte er. Er erklärte, was er über sie wußte, und Bar-Woten hob anerkennend die Augenbrauen.
„Ich würde zu gerne wissen, wer so etwas wie das da bauen konnte“, sagte er.
„Die Lucifaner jedenfalls nicht.“ Kiril warf einen kleinen Kiesel in den Canyon und erhob sich von seinen Knien. „Sie muß von sehr weit weg gekommen sein. Und es war keine Waffe – sie ist nicht explodiert.“
„Das heißt nicht, daß es keine Waffe war. Wenn ich mich recht erinnere, sagen die Obelisken, daß nicht alle Dinge in Feuer explodieren.“
„Wahr“, gab Kiril zu. „Aber wir müssen immer noch auf Erklärungen für diese Abschnitte stoßen. Wir können es nur gläubig hinnehmen.“
„Ich denke, es gibt jemanden, der dazu keinen Glauben braucht. Weil sie den Beweis haben.“
Sie waren noch rund zwanzig Kilometer von der Felsbrücke entfernt, als sie ihr Lager aufschlugen und sich zur Nacht betteten. Dunkle, schwere Wolken quirlten zornig über den grauen Bergen jenseits des Canyons. Regen sprühte auf sie hernieder, als sie ihr Nachtmahl aus getrocknetem Fisch und Obst aßen und später, als sie schliefen. Als der Morgen sein bleiches oranges Licht auf ihre Gesichter warf, war die Luft deutlich frostiger geworden, und helle Schneepünktchen trieben herab. Sie konnten nicht mehr bis zur anderen Seite des Canyons schauen. Der Fluß drunten im Abgrund grollte entfernt, als sie aufsaßen. Barthel ging zuerst.
Sie erreichten die Felsbrücke um die Mitte des Nachmittags. Wenige Menschen nur reisten auf dieser Route, sagte Kiril. Die Handelswege verliefen viel weiter westlich, wo der Canyon von einem üppigen Regenwald aufgeschluckt wurde und der Fluß unter der Erde verschwand.
Wie Ameisen auf einer Heerstraße begannen die drei ihren Zug über die Brücke. Die Neigung zu beiden Enden hin war unmerklich, aber schließlich senkte sie sich doch in sanfter Rundung in die jähen Klippenwände. In die Seiten der Brücke waren wenigstens vier Löcher geschliffen, die sich nahe der Mitte öffneten. Wind pfiff voll Ingrimm mit klagendem Ton durch sie hindurch. Als Kiril in eines hineinspähte, hob der Luftzug die Kapuze seines Umhangs auf und ließ sie schlagen wie ein Segel.
„Wind und Wasser haben das vollbracht“, sagte Bar-Woten. „Hegira muß seit Jahrmillionen da sein.“
„Da sein?“ fragte Kiril. „Ah, falls Ihr tiefsinnig sein wollt, wo ist da? “
„Wo auch immer, es ist nicht das Land der Erstgeborenen. Es hat keine Sterne, keine Sonne und keine Monde. Scrittori, kann Eure Gelehrsamkeit das erklären?“
„Natürlich nicht.“
„Das aber ist’s, was ich erklären möchte.“
Barthel sagte nichts, sondern blickte nur den Canyon entlang in den grauen Schatten des Abgrunds. Nie fiel ein Lichtstrahl bis in diese Tiefen. Die Schatten waren immer dieselben. Das schien wichtig, doch er sprach nicht davon.
Bei Anbruch der Dunkelheit hatten sie das andere Ende der Brücke erreicht. Sie schlugen wieder ihr Lager auf, aßen und schliefen bis zum Morgen.
5
Kiril sann über Bar-Wotens Suche nach, als die nahen Berge von Mundus Lucifa sich wie schwarze Riesen durch ihre Wolken neigten. Was immer der Ibisier auch herausfand, die Obelisken würden ihm nicht helfen – das wußte Kiril so sicher, wie er wußte, daß er zwei Arme hatte.
Die Obelisken waren ein Rätsel, das sich über die Geschichte der Zweitgeborenen hinweg nicht verändert hatte. Sie waren ungefähr tausend Kilometer hoch, an jeder Seite einen Kilometer breit und so vollendet rechteckig, wie einer nur messen konnte. Tagsüber verschwanden sie im schrankenlosen Blau des Himmels und reflektierten schwach das Licht der Feuertauben während der Nacht, in Höhen aufragend, in die das Auge nicht zu folgen vermochte. Ganze Zivilisationen waren unauslöschlich in ihr Antlitz eingeschrieben; Weltgeschichten und Philosophien und Literaturen; Aufzeichnungen über die Heimstatt, die die Erstgeborenen ‚Erde’ nannten. Die Anordnung der Texte nach Gegenstand und Zeit war offenbar zufällig, aber es existierte immerhin eine grobe Rangordnung – je höher hinauf man beim Lesen kam, desto fortgeschrittener in Zeit und Technologie waren die Aufzeichnungen. Das höchste, was die Leser in Ibis jemals erreicht hatten, waren zehn Kilometer gewesen; sie hatten dazu Ballone benutzt, wie die Leser in Mediwewa und Khem.
„Von jedem sollt ihr erwählen die Essenz eurer Abkunft“,
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