Die Obelisken von Hegira
Kontrapunkt zu dem Grummeln aus dem Abgrund. Nach Süden zu bot die weiße Linie des Obelisken Tara immer noch einen Bezugspunkt. Er würde Tausende von Kilometern weit weg sein, ehe sie ihn aus den Augen verloren, und bis dahin würden sie einen anderen Obelisken haben, dem sie folgen konnten. Zunächst würde das übliche Gebiet kommen, wo der Himmel dunkler war und die Luft kälter, dann wieder ein weiteres Land mit seinem eigenen Turm. Aber erst einmal mußten sie Mundus Lucifa durchqueren, und das hatte keinen Obelisken. Bar-Woten fragte Kiril, was er über Mundus Lucifa wisse.
„Es gibt zwei Teile, den Norden und den Süden. Ich weiß nur über den Süden Bescheid. Es ist eine Monarchie, ziemlich rückständig. Eine Reihe von Festungen, gewöhnlich mit Städten darinnen, dazu hohe Berge und viele Brücken. Sie stehen auf gutem, aber nicht allzu vertrautem Fuße mit Mediwewa. Üben Zurückhaltung, wenn es darum geht, ihre Gedanken offenzulegen. Sie erlauben keinem, Obelisken-Texte zu lesen, daher stammt alles Wissen, über das sie verfügen, aus der Vergangenheit – von vor über zweitausend Jahren – oder ist unabhängig wiederentdeckt. Ich habe ein paar kennengelernt, allerdings keine so weit aus dem Osten. Sie sind ein gutaussehender, starrköpfiger Menschenschlag.“
„Momadanisch?“ fragte Barthel.
„Nein. Auch nicht kristlich. Sie verehren ein Pantheon, das nicht auf den Obelisken erwähnt ist – jedenfalls nicht, bis wohin wir gelesen haben.“
„Schön und gut“, sagte Bar-Woten. „Vielleicht können wir etwas von ihnen lernen – nämlich, in welchem Maße uns die Obelisken zu dem gemacht haben, was wir sind. Sulay würde sich gefreut haben, das untersuchen zu können. All die Länder, durch die wir gekommen sind, glaubten an die Obelisken. Wir mußten unsere eigenen Atlanten anfertigen, während wir reisten. Es waren keine Bücher erlaubt, die nicht getreulich die Obeliskentexte wiedergaben oder konservative Auslegungen dessen, was sie sagten. Und auf den Obelisken gibt es keine Karten von Hegira.“
„Kann ich eine Karte sehen?“ fragte Kiril. „Und einen Atlas?“ Er schnippte mit den Fingern. „Einmal las ich ein Buch, das ihn erwähnte. Atlas war ein Gott – er trug die Erde auf seinen Schultern, bevor Newton und Kopernick ihn vernichteten.“
Bar-Woten zog ein Geviert aus Pergament aus seiner Schultertasche und reichte es Kiril. „Seid vorsichtig damit. Es mag die einzige noch existierende Aufzeichnung dessen sein, was unsere Geometer und Geographen herausfanden. Es ist eine Karte dessen, was wir auf unserem Marsch von Ibis her sahen.“
Kiril faltete sie behutsam auseinander, während er zugleich versuchte, das Gleichgewicht auf dem Pferd zu halten. Die Karte war ein Netzwerk aus Linien und Farbflächen mit Abschattierungen und seltsamen Zeichen. Wohl vermochte er die Namen zu lesen – die Obeliskenschrift war universell, also konnten Völker, die an Obelisken glaubten, stets des anderen Alphabet lesen –, aber ihre Position und die anderen Symbole bedeuteten ihm nichts. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, jene Obelisken-Texte zu lesen, die sich um Kartenkunde drehten – sie schienen fruchtlose intellektuelle Übungen zu sein, da keine derartigen Karten von Hegira existierten, und die Erde hatte etwas von einem Mythos an sich.
„Hübsch“, sagte er. Er faltete sie wieder zusammen und gab sie Bar-Woten zurück, der sie geduldig neu faltete und sie in seinen Beutel steckte.
„Da ist etwas im Canyon“, sagte Barthel. Er wies hinab. Es war Kilometer tief unter ihnen, eine zerdrückte Masse, die einstmals ein Zylinder gewesen sein mochte. Das Gebiet rings um ihn war zu zerklüftet, um leichten Zugang zu gewähren. Er wirkte unberührt.
„Zwei- oder dreihundert Meter lang“, sagte Bar-Woten. „Aus Metall verfertigt. Schaut, wie die Sonne darauf glitzert. Wißt Ihr, was das ist?“
Kiril schüttelte den Kopf; nein. Er hatte die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt.
„Sieht aus … wie die Raketen in Khem“, sagte Barthel. „Die gleiche Form, nur größer.“
„Schwarzpulver würde nie ein solches Monster heben“, sagte Bar-Woten. „Es muß ein Bauwerk sein. Jemand hat es zusammengefügt, und dann wurde es bei einem Felsrutsch zerstört.“
Aber Kiril sah die tief eingeschnittene Wunde, die sich hinter dem Wrack herzog. Er hatte einen Text über Raketengeschosse und andere terrestrische Kriegswaffen gelesen – die Dinger, auf denen die Erstgeborenen von der
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