Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Obelisken von Hegira

Die Obelisken von Hegira

Titel: Die Obelisken von Hegira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
untersuchte den Vorderfuß des Tieres und stellte fest, daß sich ein gesplitterter Flußstein in den Huf eingegraben und ihn bis zum lebenden Fleisch aufgespaltet hatte. Sich selbst überlassen, konnte das Pferd noch herumhumpeln und sich gut genug von dem Grasland ernähren – aber geritten werden konnte es nicht mehr. Und es würde auch nicht in der Lage sein, sich schnell genug zu bewegen, um mit ihnen Schritt zu halten.
    Ihre Vorräte waren knapp. Es gab wenig von Pferd zu Pferd umzuladen. Als der Himmel grau wurde, vergruben sie den Sattel in einem Wadi. Regen würde fallen, bevor die Dunkelheit kam – und das Wadi würde sich mit Wasser füllen, was hoffentlich ihre Spuren verwischte.
    Sie entdeckten eine Pyramide aus Felsbrocken, standhaft aufgetürmt gegen die Fluten und höher, als das Wasser voraussichtlich steigen würde. Nachdem sie sie auf Ungeziefer überprüft hatten, errichteten sie einen gegen Sicht geschützten Unterstand und ruhten, während sie darauf warteten, daß der Sturm losbrach.
    Die Regenfront traf sie mit der Wucht eines ausgegossenen Wassereimers von vielen Meilen Durchmesser. Flüsse entstanden in Minuten, trugen ganze Landschaftsformationen als Schlamm und Schmutz fort und stürzten in das Wadi. Die Verfolgertruppe weiter unten würde sich ernstlich in Gefahr sehen zu ertrinken, wenn sie nicht hochgelegenen Grund gewinnen und dort das Ende des himmlischen Strafgerichts abwarten konnte.
    Als das Tageslicht heraufdämmerte, war das Land so still wie der Tod. Das Gras war tief in dicken gelben Schlamm gehämmert. Wasser tropfte von den Felsen. Kein Wind wehte, keine Tiere riefen, nichts regte sich.
    Das Land fiel vor ihnen ab. Kiril hatte eine schwindelerregende Vorahnung – Dort, wo die Nacht ein Fluß ist? – und blickte hinunter in den Canyon. Es war ein senkrechter Absturz von wenigstens einem Kilometer bis zu einer Reihe von sanfteren Abhängen und Felskehlen, die holterdipolter in den gewaltigsten Abgrund purzelten, den er jemals gesehen hatte. Er schien bis in alle Ewigkeit hinabzutauchen in einen trübdunstigen, mit wirbelnden Nebeln erfüllten Schatten, der von Ferne her mit blechernem Grollen klagte. Dies war die natürliche Grenze von Mundus Lucifa. Aber Kiril hatte von einem Weg gehört, der hinüber führen sollte. Den Rest des Tages über ritten und gingen sie mit äußerster Vorsicht entlang des Canyonrandes, wobei sie versuchten, die Landmarke auszumachen, die Kiril ihnen beschrieben hatte. Nacht zog wieder düster herauf, und mit ihr kamen Nebel und Dünste, die den Canyon füllten und an dem Felsüberhang leckten wie ein Geisterozean.
    Es war hoch im Nachmittag des nächsten Tages, bevor die Dämpfe wegbrannten. Dann sahen sie, wonach Kiril sie Ausschau zu halten geheißen hatte – eine monumentale Felsbrücke. Sie war wenigstens noch drei Tagesmärsche weit weg, aber sie konnten ihre vier Bögen in der Ferne erkennen, wie die Tore einer mediwewanischen Kirche. Bar-Woten nickte grimmig, zufrieden, daß er ein echtes Wunder sah. Barthel nahm das alles gelassen hin. „Nichts, was von Allah kommt, überrascht mich“, sagte er markig.
    Bar-Woten verkündete, sie hätten ihre Verfolger abgeschüttelt. „Die Flut hat sie möglicherweise überzeugt, daß wir der Mühe nicht wert seien. Entweder das, oder sie hat sie getötet.“
    „Habt Ihr welche getötet?“ fragte Kiril. Barthel schaute ihn scharf an. Er spürte, daß Ärger in der Luft lag.
    „Nein“, sagte Bar-Woten. „Ich nicht. Ich glaube auch kaum, daß Barthel es getan hat – er war viel zu beschäftigt damit, sein Pferd ruhig zu halten. Ihr denn?“
    „Nein“, sagte Kiril. „Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich’s gekonnt hätte.“
    „Der Bei schämt sich meiner, weil ich nicht getötet habe?“ fragte Barthel grollend.
    „Keineswegs. Es bringt kein’ Gewinn. Ein tüchtiger Jäger tötet nur, wenn er Nahrung braucht – und die Umstände waren nicht so, daß wir hätten Langschwein genießen müssen.“
    Kiril saß ab und stapfte über die Steine und den hartgebackenen Schlamm des Canyonrandes. Die Reihe kam an Barthel, zu reiten.
    „Die meiste Zeit müssen die Ibisier aber anders über’s Töten gedacht haben“, sagte Kiril.
    „Das haben sie“, sagte Bar-Woten. „Ich übrigens auch.“
    Sie wechselten erneut, und diesmal marschierte Bar-Woten schweigend dahin. Mit weit ausgebreiteten Flügeln zogen Vögel ihre Kreise über dem Canyon, dunkel gegen den Himmel. Ihre Rufe setzten einen

Weitere Kostenlose Bücher