Die Obelisken von Hegira
an.
„Das bedarf keiner Diskussion“, sagte Bar-Woten. „Was, denkt Ihr, haben wir die ganze Zeit über vorgehabt? Ihr wart derjenige, der sich sträubte.“
„Ich auch“, sagte Barthel. „Die See ist ein garstig Bett, Bei.“
„Aber was ich sagen will, ist, daß ich lieber aufs Meer hinausgehe, als als Vagabund zu leben.“
„Ihr seid wankelmütig. Ihr wart ein Vagabund auf Eurer Pilgerfahrt. Ich fand Euch in einer Gosse. Und plötzlich findet Ihr Geschmack am bequemen Leben?“
„Dann laßt uns auch nicht darüber diskutieren“, sagte Kiril, zornig werdend. „Ich habe bloß gesagt, was in der jetzigen Situation das Beste für uns scheint.“
„Gewiß.“
Sie warteten bis in den späten Nachmittag. Bis dahin war das Schiff entladen, und die Matrosen und Hafenarbeiter hatten sich in die Messe des Schiffes oder in ihre Heimstätten an Land zurückgezogen, jeder nach seiner Art.
„Der Kapitän macht bestimmt nach der Mahlzeit einen Spaziergang“, prophezeite Bar-Woten. „Wir sprechen ihn wieder an, wenn er das tut.“
Kurz vor der Abenddämmerung erschien der Mann erneut. Das Deck lag verlassen da, abgesehen von den Dreien und einem Matrosen, der auf dem Achterdeck Wache stand. Der Kapitän marschierte auf sie zu und blickte sie durchdringend an. „Ihr sucht eine Heuer?“ fragte er. Sie nickten. „Auf was für Schiffen seid ihr gefahren?“
„Auf keinen“, sagte Bar-Woten.
„Ihr glaubt wohl, dies ist eine Seefahrerschule, eh?“
„Ich glaube, wir können schnell genug lernen, um nicht zu stolpern.“
„Ihr wart schon früher auf See, für längere Zeit? Ein Jahr oder zwei?“
Der Ibisier schüttelte den Kopf.
„Für was kann ich euch dann gebrauchen? Zum Deckschrubben? Wer hat euch eigentlich gesagt, daß ich Leute brauche?“
Niemand.
„Was läßt euch dann denken, ich bräuchte welche?“
Sie waren sich nicht sicher, daß er welche bräuchte.
„Verdammich, ich muß nehmen, was ich kriegen kann! Denkt ja nicht, ich würde eure Gesichter mögen, bloß weil ich ja sage. Der Himmel hat gesprochen, und jetzt will keiner mehr anheuern, kapiert ihr? Sie glauben alle, die Meere werden sie verschlingen, wenn die Welt endet.“
„Sie wird nicht enden“, sagte Bar-Woten.
„Natürlich nicht. Aber Seeleute werden schon bei ’ner hübschen kleinen Geschichte über die Ginnunga-Gaps zu Hosenpissern“, sagte der Kapitän. „Ihr meldet euch morgen früh beim Quartiermeister. Wir segeln beim zweiten Glasen. Ich bin Kapitän Prekari. Bedingungen sind freie Verpflegung und dreißig Standardthaler im Monat, wobei eure Posten und Ränge gemäß Leistung und Befähigung bestimmt werden. Einverstanden?“
Sie nickten. Der Kapitän musterte sie noch einmal von Kopf bis Fuß und stolzierte brummelnd davon. Kiril drehte sich um und blickte in das kotige Wasser, das gegen die Schiffsflanke schlug.
„Wo verbringen wir die Nacht?“ fragte er.
„Am Strand. Unseren Sandflöhen Lebewohl sagen.“
11
Das Schiff hieß Dreizack und kam aus einem Land südlich der Bleichen Meere. Seine Besatzung war ein ruhiger, kräftiger Menschenschlag von nur geringer Streitlust und unerschütterlicher Loyalität. Solche Emotionen trugen ein Schiff wohl über Entfernungen, die es zurücklegen mußte – Unzufriedenheit konnte es nur versenken.
Bar-Woten machte sich mit Eifer daran, die Sprache zu erlernen, die sie verwendeten und die in Kirils Ohren germanisch klang. Er hatte nie viel Zeit darauf verwendet, die germanischen Texte auf den Obelisken zu lesen – soweit die Mediwewaner gelesen hatten, bestanden sie aus unverständlichen Abhandlungen über Mechanik und hier und da ein paar Märchen, durchsetzt mit schwer verdaulicher Philosophie –, aber er wußte genug, um zurechtzukommen. Barthel hatte es da schwerer.
Einen Tag, nachdem die drei sich beim Quartiermeister gemeldet hatten, nahm die Dreizack ihre Ladung aus Pflanzenfasern, getrocknetem Fisch und Maschinenteilen an Bord. Am nächsten Morgen waren sie schon auf See. Mehrere Tage reisten sie entlang der Küste nach Osten, wobei sie vier schmale Buchten passierten, die von mehrere Kilometer hoch aufragenden Klippen umrahmt wurden. Mächtige Vögel nisteten dort, erzählten ihnen die Seeleute – Albatrosse mit Schwimmhautfüßen, die der Armspanne eines Mannes gleichkommen konnten. Die Übertreibung war nicht so stark, daß Bar-Woten das Gefühl hatte, sie würden lügen. Außerdem wurden ab und zu tatsächlich fliegende Umrisse
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