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Die Oder gluckste vor Vergnügen

Die Oder gluckste vor Vergnügen

Titel: Die Oder gluckste vor Vergnügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ulrici
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nie!« Oh, Pennälertriumph! So hatte die Sonne noch nie geschienen, so hatte die See noch nicht gerauscht.
    »Jetzt kriegt er zwei auf einmal, von uns beiden einen«, sagte Bibi. Und legte mir eine Handvoll Kiefernadeln auf die erwartungsvollen Lippen.
    Ich sprang auf und spuckte. Und als ich die Augen endlich richtig offen hatte, sah ich vor mir einen glatzköpfigen Mann.
    »Ach«, sagte er, »ja wirklich, sie sind es.« Und er hängte seinen Stock in den Ellbogen. Neben ihm tauchte eine Wandervogelfrau mit Schnallenschuhen auf, sichtlich die Gattin. Ein hageres Mädchen vervollständigte die Gruppe.
    Bibi und Cotta standen wie die Salzsäulen.
    »Barbara Rufus! Raffaela Percotta!« rief das Mädchen. Bibi patschte Moos und Nadeln von den Händen. Ordnete die Zöpfe. Cotta strich die Ponys glatt und sagte: »Unsere Klassenkameradin Gerda Millbratt und ihre Eltern.«
    »Ein Zufall, wie?« rief Herr Millbratt. »Gerda hatte keine Ahnung...« Aller Augen ruhten auf mir.
    »Mein Bruder«, sagte Bibi. Gleichzeitig aber sagte Cotta: »Mein Vetter.«
    Nun wurden wir erst einmal alle rot. Auch Herr Millbratt. Er erkundigte sich sofort, wo Cottas und Bibis Eltern seien. »Nicht mit...?« Rascher Blick auf seine Frau. »Ach«, sagte die herbe Dame und steckte ihren Haarkamm fest. »Tatsächlich?«
    Ich erklärte, wir hätten Herrn Percotta erst kürzlich getroffen. Nun verstanden sie überhaupt nichts mehr. Sie fragten noch, wo wir unsere Strandburg hätten, und forderten uns auf, uns um Gerda zu kümmern. In Wahrheit wollten sie wohl nur gewisse Fragen klären. Aber dann gingen sie. Gerda drehte sich noch lange nach uns um.
    Mir hatte Herr Millbratt nicht gefallen. »Der sieht mir so aus, als schriebe er gleich zwei Eilbriefe nach Berlin.«
    »Ach«, sagte Cotta, »ich rufe nachher meinen Vater an. Der kennt den Heini schon.«
    »Die doofe Millbratt soll uns den Buckel ‘runterrutschen«, sagte Bibi. »Die hat nur ‘ne Wut, weil sie noch keinen Busen hat.«
    »Bibi!« rief Cotta, meinte dann aber: »Es stimmt. Und der Alte hat einmal an den Schuldirektor geschrieben, ich sei untragbar für eine preußische Mädchenklasse.«
    »Wieso denn das?«
    »Sie hat in Geschichte gesagt, Friedrich der Große ist der bedeutendste Preußenkönig, weil er das Nibelungenlied aus seiner Bibliothek hinausgeschmissen hat«, sagte Bibi kichernd.
    Wir vergaßen die Familie Millbratt und aalten uns am folgenden Tage nach Herzenslust am Strand. Die Ostsee lächelte mit weißen Brandungszähnen. Fähnchen flatterten. Auch Hakenkreuzfähnchen. Dem Wind war’s egal, was er flattern ließ. Aber auch Dresdner Fähnchen waren da, Stettiner und Berliner. Es war ein sogenanntes gehobenes Seebad, das sah man an den modernen Strandkörben, an den Trikots und an den selbstbewußten Bäuchen und Busen.
    Um jeden Strandkorb war eine Burg aus Sand. Die meisten beherbergten ganze Familien. Ein Einzelgänger gab sich daran zu erkennen, daß er in Muschelschrift am Sandwall verkündete: »Eremit!« Fast alle Burgen hießen irgendwie — gleich Schiffen — , und Bibi ging an keiner vorbei, ohne ungeniert ihr Urteil abzugeben.
    »Berliner Kindl«, »Berliner Bär«, »Berliner Range«... mit Berlin war ziemlich viel. Manche Burgen trugen auch Familiennamen: »Herr und Frau Bier« — oder (mit Titel) »Dr. Semmelmann«. Einige verrieten Bildung: »Berenike« oder »Burg Hyperion«. Etliche sogar Witz. Zum Beispiel die »Drachenburg«. Da saßen drei schöne Mädchen drin. Fontane hatte gesagt: »In Swinemünde gab es von jeher schöne Mädchen. Und wo viel ist, wird’s noch mehr...« Durch Bibi und Cotta wurde es mehr.
    Wir suchten uns der Faulheit halber eine verlassene Burg, aus der der Strandkorb eben weggetragen wurde. Nun war es ein Strandkorb mit Beinen. Das Monstrum gab uns Auskunft. Die Burg könnten wir haben, den Strandkorb leider nicht. Auch gut. Der Wall war schön hoch.
    Bibi warf sich in die Brandung. Ich faulenzte mit Cotta und schrieb ein bißchen am »Sterbenden Cäsar«, der in Wahrheit »Klein Willi mit dem großen Hut« hieß. Ich verarbeitete viele Sandkörner und wenig Gedanken. Vor der Mole zeigte sich der Dampfer »Tannenberg« vom Seedienst Ostpreußen. Über ihm Wattewolken wie himmlische Beiboote.
    In Cottas Hand lag meine Hand am Swinemünder Strand im Sand. Ein gerösteter Eismann stapfte daher, von aufgeregten Kindern umschwärmt. Dann kam ein Gurkenmann. Cotta und ich aßen Gurken. Dann kam ein Zeitungsmann. Wir kauften eine

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