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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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zerfahrener Hohlweg, nostalgisch von Eichen besäumt, auf dem ein Ochsenkarren fortrumpelte, im Vordergrund ein halb zerfallenes Fachwerkhaus. Und dann fiel sein Blick zurück auf den dicken Mann, der vor seinem Schreibtisch saß und zwei Briefumschläge in der Hand hielt, einen gelben und einen weißen.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Schlüter mit belegter Stimme und langte über den Schreibtisch. »Zeigen Sie her.«
    Der gelbe Brief enthielt eine Klage von Kurbjuweits Vermieter auf Zahlung von 412,10 DM Nebenkosten für das vergangene Kalenderjahr. Ein dicker Brief, zugestellt vor zehn Tagen, mit vielen Seiten Anlagen: Heizkostenabrechnungen und Belegen. Der Mietvertrag aber fehlte. Der Absender des zweite Briefes war das Sozialamt der Gemeinde Hollenfleth. Es rechnete Kurbjuweit vor, dass er als alleinstehende Person künftig keinen Anspruch auf volle Übernahme von Kaltmiete und Nebenkosten mehr habe. Maximal 50 qm groß dürfe die Wohnung sein, sie sei jedoch 64 qm groß. Die Kosten für seine Wohnung lägen 143,20 DM zu hoch. Herr Kurbjuweit werde aufgefordert, bis spätestens zum 1. März 1999 für diesen Betrag entweder selbst aufzukommen oder sich bis dahin eine Wohnung zu suchen, die um den entsprechenden Betrag günstiger sei. Falls er weiter in der bisherigen Wohnung wohnen wolle, werde die Zahlung des Sozialamtes an den Vermieter entsprechend reduziert. Herr Kurbjuweit könne innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen.
    »Und?«, fragte Schlüter.
    »Das kann ich nicht bezahlen«, murmelte Kurbjuweit.
    »Die Nebenkosten?«
    »Die auch nicht.«
    »Haben Sie den Mietvertrag dabei? Der fehlt.«
    Kurbjuweit schüttelte den Kopf.
    »Den brauche ich aber. Sonst kann ich die Abrechnung nicht prüfen.«
    »Ob das Zweck hat?«
    Der Mann machte die gleichen Sprüche wie bei der Kündigungssache gegen die Walther OHG. Das war ein Rohrkrepierer geworden. Kurbjuweit hatte nicht zur Güteverhandlung erscheinen wollen, zu der er persönlich geladen war, und die Rücknahme der Klage verlangt. Und das, bevor über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden war. Schlüter hatte Kurbjuweit keine Rechnung geschickt, der würde sie ohnehin nicht bezahlen. Ein Vorfall, der die Arbeitsfreude nicht steigerte.
    »Ich sage doch, ich brauche den Mietvertrag, um das zu prüfen. Am besten auch noch die Abrechnungen der letzten drei Jahre. Vorher kann ich nichts dazu sagen. Aber machen Sie sich keine Sorgen – die Nachzahlung wird wahrscheinlich das Sozialamt übernehmen müssen.«
    Kurbjuweit schüttelte den Kopf. »Das machen die garantiert nicht.« Er zeigte auf den zweiten Brief. »Das sehen Sie doch daran. Außerdem habe ich letztes Jahr noch keine Sozialhilfe gekriegt.«
    Schlüter las den anderen Brief noch einmal; ihm fiel das Datum auf. »Wieso kommen Sie so spät damit, der Brief ist ja vier Monate alt! Der Bescheid ist rechtskräftig! Da können wir nichts machen.«
    »Aber die können doch nicht so einfach …«
    »Rechtskräftig ist rechtskräftig«, unterbrach Schlüter und hielt einen Kurzvortrag über Fristen und Rechtssicherheit.
    »Sie wollen mir nicht helfen?«
    »In der Sache kann ich Ihnen nicht helfen.«
    Kurbjuweit zog die Schultern hoch. »Ich gehe da nicht raus.« Sein Gesicht war steif und etwas gelblich. Es war kein Gefühl darin zu lesen, nur eine dumpfe tierische Entschlossenheit.
    »Aber wenn …«
    »Ich gehe da nicht raus«, wiederholte Kurbjuweit.
    »Und …«
    »Da wohnen wir seit über fünfzehn Jahren drin!«
    »Ja, aber …«
    »Da können die uns, ich meine, da können die mich nicht einfach so rausschmeißen!«
    »Ich meine, der Bescheid ist …«
    »Fangen Sie etwa an, das zu rechtfertigen!«, rief der Mann und stützte eine Hand auf das Knie, als wollte er aufstehen.
    »Herr Kurbjuweit, der Bescheid ist …«
    »Muss ich ausziehen oder nicht?«
    »Bringen Sie mir erst mal den Mietvertrag, und dann sehen wir weiter«, wiegelte Schlüter ab. »Möglichst gleich Montag. Vielleicht kann man noch verhandeln, obwohl … Und in der Klagesache läuft die Frist nächsten Mittwoch ab. Bis dahin muss ich dem Gericht geschrieben haben.«
    Und dann war Kurbjuweit aufgestanden und hatte zum zweiten Mal sein Büro verlassen.
    »Du glaubst es nicht, wie der Mann gestunken hat«, schloss Schlüter seinen Bericht. »Ich musste mein Zimmer eine halbe Stunde lüften, bevor ich es wieder darin aushalten konnte.«
    »Und – kannst du ihm helfen?«, fragte Christa.
    Schlüter schüttelte den Kopf. »Was würde das

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