Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Odyssee des Captain Roadstrum

Die Odyssee des Captain Roadstrum

Titel: Die Odyssee des Captain Roadstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. Lafferty
Vom Netzwerk:
Marmorpaläste zaubern oder wenigstens in Lehmhütten verwandeln. So was kann man immer mal gebrauchen. Versuchen wir es umgekehrt.”
    Und er verwandelte die Wände wieder in makellosen, kostbaren Marmor, indem er sie völlig subjektiv ansah und wünschte, daß sie wieder aus makellosem Marmor wären.
    Er hörte Änea zurückkommen und ihren wunderbaren Gesang lauter werden, und er sah ihr etwas mißtrauisch entgegen. Sie kannte so viele Tricks, und er hatte erst einen gelernt, und auch den nur zum Teil.
    Singend trat sie herein und brachte einen zahmen Waschbären mit. Roadstrum riß die Augen auf, als er das possierliche Tier herumtollen sah. Das war wirkliche Kunst! Man mußte sicher eine lange Zeit lernen und trainieren, bis man etwas schaffen konnte, das so possierlich und komisch war und gleichzeitig soviel Mitgefühl und Sympathie weckte. Für Roadstrum würde nun ein Waschbär nie wieder nur ein Waschbär sein. Dieser hier besaß wirklich Persönlichkeit. Er war natürlich eine Burleske, eine Karikatur; aber eine vollkommene, ein Simulacrum mit einer Seele. Es war die perfekte Nachahmung eines solchen kleinen Tieres, von einer Meisterhand geschaffen.
    „Wunderbar, Änea”, sagte Roadstrum aufrichtig. „Nicht einmal im Museum für Naturgeschichte habe ich etwas Besseres gesehen. Hat er ihn gesehen?”
    „Hat wer ihn gesehen, Roadstrum?”
    Roadstrum lachte amüsiert. „Captain Puckett, meine ich. Der Waschbär sieht genauso aus wie Puckett. Aber er hat mich schon immer an einen Waschbären erinnert. War das Tier eigentlich von Anfang an lebendig, Änea? Hat es von Anfang an so ausgesehen, oder hast du ihm sein Aussehen verliehen?”
    „Ich habe dir doch bereits erklärt, Roadstrum, daß es keinen Unterschied zwischen Schein und Sein gibt, solange wir die Materie subjektiv halten. Du hast nicht aufgepaßt, Roadstrum.”
    Oh, diese wütenden und doch pathetischen Augen des Waschbären.
    „Wirklich, er sieht aus wie Puckett, Änea”, sagte Roadstrum nachdenklich. „Selbst der Schwanz sieht so aus, wie er an Puckett aussehen würde, wenn der einen hätte. Dies ist eine neue Kunst, die alles bisher Dagewesene übertrifft. Du bist ein Genie, Änea!”
    „Das weiß ich, Roadstrum. Dieser kleine Waschbär ist wirklich süß, findest du nicht auch? Aber wenn er mich noch einmal beißt, breche ich ihm alle seinen kleinen Zähne aus.”
    „Gehen wir Puckett holen, Änea. Er muß sich das Tierchen ansehen. Ob er wohl merkt, daß es eine Karikatur von ihm ist?”
    „Verstehst du denn immer noch nicht?”
    „Was soll ich denn verstehen? Meinst du, daß Puckett beleidigt sein würde?”
    „Natürlich ist er beleidigt. Deshalb beißt er mich doch.”
    „Wie? Was? – Ich glaube es einfach nicht. Dies kann doch nicht Puckett sein!”
    „Aber ja. Dies ist Puckett, der große Captain Puckett, Kommandant einer Hornisse. Dies ist dein Freund und Kamerad in seiner neuen Gestalt. Du siehst ihn so, ich sehe ihn so, er sieht sich selbst so, und deshalb …”
    „Halt den Mund, du Hexe! Ich glaube dir kein Wort. Ich werde Puckett finden!”
    Wütend stampfte Roadstrum durch die riesigen Hallen und suchte nach Captain Puckett. Er hörte Äneas Gesang, hinter sich und von allen Seiten, und sie lachte beim Singen.
    Roadstrum sah den Matrosen Humphrey.
    „Wann haben Sie Captain Puckett zum letzten Mal gesehen?” fragte er ihn.
    „Ich weiß nicht”, sagte Humphrey unsicher. „Ich glaube, er ist mit der Dame fortgegangen. Er sah ziemlich komisch aus …”
    „Puckett sah komisch aus? Sehen Sie sich doch selbst mal an!
    Was ist eigentlich mit Ihnen passiert?”
    „Ich weiß nicht”, sagte Humphrey mit bebenden Lippen.
    Und Humphrey sah wirklich komisch aus. Humphrey hatte schon immer komisch ausgesehen, aber nicht so komisch. Roadstrum hatte noch keine Erklärung dafür, wieso Humphrey so komisch aussah, aber sie würde ihm schon einfallen.
    „Da drüben rennt Captain Puckett”, schrie Matrose Eseldon plötzlich, und es klang wie der Schrei eines Esels. „Er klettert den Baum hinauf.”
    „Du Esel, das ist doch ein Waschbär!” schrie Roadstrum zurück.
    „Hat man schon mal einen solchen Esel gesehen!”
    Und nun hatte er die Erklärung, sah er die furchtbare Wahrheit. Er erkannte sie, während der Gesang Äneas ihn umschmeichelte. Alle seine Männer waren in Tiere verwandelt worden! Die Ähnlichkeit mit ihren eigenen Gesichtszügen war so treffend, daß er es auf den ersten Blick nicht bemerkt hatte.
    Humphrey

Weitere Kostenlose Bücher