Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen in trunkener Morituri-Stimmung. Der Krieg musste es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche.«
Die deutsche Führung hatte sich auf den großen Krieg gründlich vorbereitet. Schon seit 1905 gab es einen Plan, den der preußische Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen ausgearbeitet hatte. Er ging davon aus, dass es bei einem Krieg gegen Frankreich aussichtslos wäre, an der gemeinsamen Grenze frontal gegen den französischen Festungsgürtel anzustürmen. Schnelleren Erfolg versprach ein Angriff, bei dem das französische Heer von hinten umfasst werden würde.
Tatsächlich verlief der deutsche Ansturm 1914 durch Belgien und Luxemburg. Die französischen Grenzdivisionen wurden geschlagen, aber nicht vernichtet. Schon Anfang September geriet der deutsche Vormarsch an der Marne ins Stocken. Die Hoffnung auf einen schnellen Sieg verflog, der Blitzkriegsplan scheiterte. Was nun begann, war |89| der lang andauernde und kräftezehrende Graben- und Stellungskrieg, in dem die in die Erde eingegrabenen Soldaten, von Regen und Kälte gepeinigt, einander gegenüberlagen.
Es gab für keine Seite ein Vorankommen. Wer immer auch an der Westfront in die Offensive ging, verlor Mann um Mann – ob es die Deutschen waren, die angriffen, oder die Franzosen oder ihre englischen Verbündeten. Zwar waren auch die angegriffenen Soldaten in ihren Gräben und Bunkern keineswegs sicher vor dem Beschuss durch feindliche Artillerie, und das Trommelfeuer versetzte sie immer wieder in Panik. Aber sie waren nicht annähernd so schutzlos wie die anstürmenden Truppen. Die wie Maulwürfe eingegrabenen Verteidiger konnten mit Hilfe einiger Maschinengewehre die Angreifer schon aus großer Entfernung niedermähen.
Die Realität an der Front war völlig anders als das Bild, das sich die Deutschen in der Heimat machten. Es war kein Krieg mit wehenden Fahnen und blitzenden Bajonetten, wie ihn die Feldpostkarten zeigten, die auch Rudolf Oetker nach Hause schickte. Das wirkliche Fronterlebnis bestand aus Hunger, Durst, Nässe, Kälte und völliger Erschöpfung. Der Feind war meist unsichtbar, das Schlachtfeld schien leer. Monotonie prägte den Kriegsalltag des einzelnen Soldaten – und die Angst zu sterben, verletzt oder verstümmelt zu werden. Ein Menschenleben galt in diesem Krieg nichts, es wurde geopfert wie Material. Ernst Jünger schrieb über das Massenmorden: »Ein Maschinengewehr, nur ein sekundenlanges Gleiten des Gurtes, und diese 25 Mann, mit denen man eine weite Insel kultivieren könnte, hängen im Draht als zerfetzte Bündel, um langsam zu verwesen.«
Der Leutnant der Reserve Rudolf Oetker kämpfte seit der Jahreswende 1914/15 in der Gegend von Verdun. Die an den Maashöhen gelegene, strategisch wichtige Stadt mit ihrer mächtigen Zitadelle war ein Eckpfeiler in der französischen Festungslinie. Bevor er nach Verdun kam, war Oetker von den Ulanen zur Infanterie versetzt worden, wo er die Führung einer Kompanie von rund 200 Soldaten übernommen hatte. Es dauerte nicht lange, bis ihm das Eiserne Kreuz verliehen wurde. Doch viel mehr als diese militärische Auszeichnung dürfte ihn |90| ein Brief aus Bielefeld gefreut haben. An der Front erreichte Oetker die Nachricht, dass seine Frau am 26. Mai 1915 eine Tochter zur Welt gebracht hatte. Das Mädchen wurde auf den Namen Ursula getauft. Oetker war voller Ungeduld, seine Tochter zu sehen.
»Daheim, wenn das Laub fällt«, hatte Kaiser Wilhelm II. den Soldaten im Sommer 1914 versprochen. Aber ein Ende der Kämpfe war auch im zweiten Kriegsherbst nicht in Sicht. Der französische Widerstand war im Berliner Generalstab unterschätzt worden, und die Zeit arbeitete in dieser Situation gegen Deutschland und Österreich und für die Kriegsgegner Frankreich, England, Russland und Italien. Im Deutschen Reich begann sich die Blockade durch die Seemacht Großbritannien bemerkbar zu machen, es fehlte an Rohstoffen für die Materialschlachten.
Dass der Krieg längst auch in der Heimat zu spüren war, erfuhr Rudolf Oetker, als er im Januar 1916 für kurze Zeit nach Bielefeld kam. Es war ihm erlaubt worden, eine Typhuserkrankung auszukurieren. Außerdem hatten die Soldaten und Offiziere nach zwölf Monaten an der Front einen Anspruch auf zwei Wochen Heimaturlaub. Deutschland hatte zu dieser Zeit so viele Soldaten im Einsatz wie kein anderes Land. Im Laufe des Krieges sollten 85 Prozent
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