Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Tapferkeit bei diesen Kämpfen sollte später sogar in der offiziellen Kriegsberichterstattung ihren Niederschlag finden: »Das Verdienst, den Sturm hier vorgetragen zu haben, gebührt dem Leutnant der Reserve Oetker (Bielefeld). Er schritt in völliger Ruhe den Bahndamm entlang, überall die Schwarmlinie zum Vorgehen ermutigend. Diese Unerschrockenheit zündete.«
Diese heroisierende Beschreibung traf allerdings nicht die wirklichen Ereignisse. Tatsächlich war es ein einziges Gemetzel, das sich in dem Tal unterhalb des Forts Vaux ereignete. Nachmittags um drei befahl der Regimentskommandeur zwei Kompanien einen Angriff auf einen Steinbruch, in dem französische Soldaten eine Stellung hatten. Die Verluste waren gewaltig. Im Maschinengewehrfeuer starben so viele |94| Soldaten, dass der Angriff wegen Aussichtslosigkeit eingestellt wurde. Doch das Generalkommando befahl dem Regiment auf dem Hang, weiterzukämpfen. Fast alle Männer einer frisch hinzugezogenen Kompanie mussten daraufhin ihr Leben im Kugelhagel lassen.
Im Jahr 1914 heirateten Rudolf Oetker und Ida Meyer, eine
Bielefelder Bürgerstochter. Dann zog der Bräutigam
in den Krieg.
|94| Als die Sonne an diesem blutigen Tag versank, erwarteten die erschöpften Franzosen keinen weiteren Angriff mehr. Doch in der Dunkelheit nahm die deutsche Artillerie mit ihren Geschützen die Festung wieder unter Beschuss. Leutnant Oetker lag zu dieser Zeit mit einem Teil seiner Kompanie am Ufer des Vaux-Bachs. Auf der anderen Seite befand sich einer von mehreren Stacheldrahtverhauen, mit denen die Franzosen die Festung gesichert hatten. Oetker beauftragte seinen Burschen, einige Bretter über das Flüsschen zu legen und den Drahtverhau zu zerschneiden. Er selbst wollte noch einmal zurückgehen, um den Rest der Kompanie heranzuholen. Bald darauf begann der nächtliche Angriff auf das Fort. Dorsch glaubte, Oetker dabei hinter sich zu haben. Zu seinem Entsetzen erfuhr er einige Stunden später von einem anderen Leutnant, dass Rudolf Oetker gefallen war.
Oetker wurde vermutlich von einem französischen Infanteristen erschossen. Aber es ist auch möglich, dass er Opfer eines deutschen Geschützes wurde. Denn das Fort lag zu dieser Stunde noch unter dem Beschuss der deutschen Artillerie, die vom schnellen Vorstoß der eigenen Leute in der Dunkelheit nichts bemerkt hatte. Als der promovierte Chemiker und angehende Unternehmer Rudolf Oetker im Alter von 27 Jahren auf dem Schlachtfeld bei Verdun sein Leben lassen musste, da reihte er sich ein in die schier unübersehbare Masse von insgesamt zehn Millionen Toten, die dieser Krieg fordern sollte.
Wegen der anhaltenden Kämpfe war es für Oetkers Burschen mehrere Tage lang nicht möglich, nach der Leiche seines Kompanieführers zu suchen. »Rechts und links die Höhe war noch vom Franzmann besetzt, und der fegte das ganze Gelände mit Maschinengewehren ab«, berichtete Dorsch in einem Brief nach Bielefeld. Erst in der Nacht vom 12. auf den 13. März fand er Rudolf Oetkers Leichnam – sitzend. »Er muss einen sofortigen Tod gehabt haben, denn die eine Hand war noch ausgestreckt«, schrieb Dorsch der Familie Oetker. Die Leiche wurde geborgen |95| und auf dem Friedhof von Senon bestattet. Erst später sollte Rudolf Oetker aus Frankreich nach Bielefeld überführt werden, wo er auf dem Johannisfriedhof beigesetzt wurde.
Rudolf Oetker teilte das Schicksal zahlloser Männer seiner Generation. So war der Maler Franz Marc vier Tage vor ihm in Verdun gefallen. Ernst Jünger schrieb fünf Jahrzehnte später darüber: »Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen.« Und ein Infanterist namens Friedrich Lehmann hat in seinem Fronttagebuch beschrieben, wie es auf dem Vaux-Berg nach der Schlacht aussah: »Ein Totenfeld um das Fort herum. Nicht ein Hauch von Leben ist übrig geblieben, die Baumstümpfe sind tot, die Grasnarbe ist verbrannt, der Boden ist zu vier Metern tief aufgewühlt, umgepflügt, zerschunden, gemartert, grau und tot, genau wie die vielen von Freund und Feind, die hier noch unbeerdigt liegen. Hier ragt eine Knochenhand hervor, da ein halb verwester Schädel unter dem deutschen Stahlhelm …«
Der Kampf um Verdun dauerte noch bis zum Dezember 1916. 337 000 deutsche Soldaten und 377 000 Franzosen wurden dabei getötet, verwundet oder gefangen genommen. Die exakte Zahl der Todesopfer sollte niemals ermittelt werden. Die amtlichen Statistiken der Kriegsjahre durften nicht ausweisen, wie viele deutsche Soldaten ihr Leben
Weitere Kostenlose Bücher