Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
dadurch retteten, dass sie sich ergaben. So weiß man bis heute nicht, wie viele von den offiziell 81668 deutschen Toten und Vermissten in Gefangenschaft überlebt haben. Unstrittig aber ist, dass niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte so viele Leben auf einem so kleinen Raum ausgelöscht worden sind wie 1916 in Verdun.
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7. »Das Unglück unseres Volkes hat
mich krank gemacht«
Der Tod des Gründers August Oetker
F ür August Oetker galt, was der Ökonom Joseph Schumpeter als Antriebskraft vieler Unternehmer beschrieben hat: Dass es ihnen bei ihrer Aufbauarbeit in erster Linie darum geht, ein privates Reich, eine Dynastie zu gründen. Menschen wie Oetker dachten und denken bei ihren groß angelegten Werken in Generationen. Sie wollen etwas schaffen, das sie selbst überdauert. Bewusst oder unbewusst zielen sie damit auf eine Form der Unsterblichkeit.
Dies alles war durch den Tod des einzigen Sohnes zunichte gemacht worden. Von einem Tag auf den anderen war das Unternehmen kein Familienunternehmen mehr in dem Sinne, wie es sein Gründer konzipiert hatte. Sollte das Lebenswerk umsonst gewesen sein? August Oetker war verzweifelt.
Dabei hatte der Krieg aus der Sicht der Firma gut begonnen. Dem Kriegsbeginn war im Kaiserreich ein Konsumrausch gefolgt. Niemand in Deutschland hatte daran gedacht, mit Nahrungsmitteln sparsam umzugehen. Das Volk war siegesgewiss und in Festtagslaune. »Niemals wurden mehr Kuchen gebacken als in den Monaten bis Weihnachten 1914«, schreibt der Historiker Michael Salewski, »und dieses Weihnachtsfest führte geradezu eine Fressorgie herauf.« Die Soldaten im Feld erhielten Pakete aus der Heimat. Auch August Oetker ließ all seinen Arbeitern und Angestellten, die an der Front waren, die damals so genannten Liebesgaben schicken. Dabei achtete der Fabrikant darauf, dass auch Obst versandt wurde.
Einen Krieg, der mehrere Jahre dauerte, hatte kaum jemand in Deutschland erwartet. Folglich war auch die Wirtschaft des Kaiserreichs |97| nicht vorbereitet worden. Die Herren in Berlin hatten in den Vorkriegsjahren zwar immer wieder vor der politischen »Einkreisung« Deutschlands gewarnt, dabei aber übersehen, dass deren Folge im Kriegsfall zwangsläufig eine Blockade sein musste. Als die militärische Auseinandersetzung begonnen hatte, hatten die Alliierten sogleich Deutschland abgeriegelt. Es sollte allerdings noch etwa zwei Jahre dauern, bis sich die Blockade schmerzlich bemerkbar machte.
Deutschland war auf die Einfuhr von Lebensmitteln angewiesen. Allerdings war die Abhängigkeit nicht sehr groß, am stärksten noch beim Getreide, das zu einem Viertel importiert wurde, und beim Fett, das vor dem Krieg zu 40 Prozent aus dem Ausland nach Deutschland gekommen war. An Zucker und Kartoffeln dagegen erzeugte die heimische Landwirtschaft mehr, als die Deutschen verbrauchten. Die Organisatoren der Kriegswirtschaft waren daher zuversichtlich, dass das Heer und die zivile Bevölkerung ausreichend versorgt werden konnten, wenn man nur die Art der Ernährung etwas umstellte und die Versorgung dirigierte. So wurde eine Vielzahl von behördlichen Verteilungs- und Zuteilungsstellen geschaffen, von der Reichszuckerstelle über die Kriegskartoffelgesellschaft bis hin zur Stärke-Sirup-Zentrale. Sogar eine Kriegsgesellschaft für Sauerkraut nahm ihre Arbeit auf. Über 40 solcher Organisationen gab es, und über sie wachte das Kriegsernährungsamt.
Doch den Hunger verhinderten all diese Behörden nicht. Nach der Missernte 1916 verschlechterte sich die Versorgungslage in Deutschland dramatisch. Das Heer beanspruchte gewaltige Mengen an Fleisch, Eiern und Milch, und unter den Männern an der Front waren viele Landwirte, die auf den Feldern fehlten. Der Mangel an Lebensmitteln wurde verschärft durch die Schwierigkeiten des Transports. Weil die Züge für Kriegszwecke gebraucht wurden, konnten Getreide und Kartoffeln häufig nicht dorthin transportiert werden, wo sie benötigt wurden.
August Oetker litt an der katastrophalen Lage seines Vaterlandes, auch wenn er persönlich gut versorgt war. In einem Brief an den Vorsitzenden der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Adolf von Harnack klagte |98| Oetker am 10. April 1917: »Das Unglück unseres Volkes hat mich krank gemacht.« Wenn er über all das nachdenke, was im Reich »verpfuscht« sei, so komme er zu dem Schluss, »dass die Deutschen zu dumm sind; sie glauben zu viel und denken zu wenig«. Nach wie vor hielt Oetker große Stücke auf
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