Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Wilhelm II. Der Kaiser sei aber von falschen Beratern umgeben. »Unsere unfähigen Diplomaten haben nach Bismarcks Entlassung das Übergewicht bekommen, Schmeichler haben unseren Kaiser getäuscht.«
Als Oetker diese Zeilen schrieb, hatte der Krieg gerade eine dramatische Wende genommen. Deutschland hatte den Fehler begangen, die USA in den Konflikt hineinzuziehen. Die Vereinigten Staaten waren damals noch sehr pazifistisch gestimmt. Präsident Woodrow Wilson und die Mehrheit der US-Bürger waren lange Zeit der Ansicht gewesen, der Krieg in Europa gehe sie nichts an. Die Regierenden in Washington und ihre Berater hatten wenig Zweifel, dass die USA als führende Wirtschaftsmacht der Welt diesen Krieg gewinnen würden. Aber wozu? Was hätte man davon gehabt? Lange hatten die Engländer versucht, die USA als Verbündete gegen Deutschland zu gewinnen, aber sie waren auf taube Ohren gestoßen.
Doch dann erklärte Deutschland am 1. Februar 1917 den Beginn des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs. Das hieß, dass Handels- und sogar Passagierschiffe von nun an ohne Vorwarnung versenkt werden würden. Dahinter stand die Absicht, England vom Warenstrom aus dem Ausland abzutrennen und auszuhungern. Sofort brach Washington die diplomatischen Beziehungen zu Berlin ab. Als dann noch herauskam, dass das Deutsche Reich versucht hatte, Mexiko zu einem Krieg gegen die USA zu bewegen, erklärten die Vereinigten Staaten Deutschland am 6. April 1917 den Krieg.
Der Unternehmer August Oetker war klug genug, zu begreifen, was das bedeutete. Mit dem Eintritt der USA in den Krieg war Deutschlands Niederlage besiegelt. Als Mann der Wirtschaft wusste Oetker besser als die meisten seiner Zeitgenossen, dass am Ende der ökonomische Wettstreit den Ausgang der militärischen Auseinandersetzung bestimmen würde. Er sah, dass die Oberste Heeresleitung und die |100| deutsche Regierung mit ihrer U-Boot-Drohung die folgenschwerste Fehlentscheidung in diesem Krieg getroffen hatten.
Der Tod seines Sohnes Rudolf im Ersten Weltkrieg brach dem Firmengründer
Dr. August Oetker das Herz.
|100| In seiner Enttäuschung war der Fabrikant nicht allein. Nach dem Hungerwinter von 1916/17 machte sich in weiten Kreisen der Bevölkerung Erbitterung breit. Im Frühjahr kam es zu Massenstreiks in Leipzig, Berlin und anderen Städten. Der einstmals so bewunderte Staat büßte in diesen Monaten auch bei konservativen Menschen an Renommee ein. Weder gelang es der Obrigkeit, das Volk zu ernähren, noch konnte sie all den Schiebern und Kriegsgewinnlern Einhalt gebieten, die aus der Not persönlichen Profit schlugen.
August Oetker klagte über die Auswüchse der Kriegswirtschaft in einem Brief vom April 1917: »Der Bundesrat hat einer Gesellschaft die Macht gegeben, das Volk zu bewuchern und diese Gesellschaft kennt kein Erbarmen mit der Not des Volkes. Unsere Jugend fällt fürs Vaterland und eine verseuchte internationale Bande wird reich, kennt kein anderes Ziel, als Geld, Geld und damit Macht über die Menschen zu bekommen.« Dieser Brief sollte erst Jahrzehnte später von der Firma Oetker in einer Firmenchronik veröffentlicht werden. Er wurde allerdings in zensierter Form wiedergegeben. Ein Satz Oetkers lautete: »Unsere Männer fallen fürs Vaterland, das Volk hungert und wird von der XYZ ausgesogen.« Der Kontext legt nahe, dass es sich um eine antisemitische Äußerung gehandelt hat, wie sie damals nicht untypisch war. Antisemitische Klischees vom jüdischen Wucherer und Schwarzmarkthändler prägten das Denken einer wachsenden Zahl nichtjüdischer Bürger des Kaiserreichs.
Was das Geschäftliche anging, hatte August Oetker wenig Grund, zu klagen. Für die Firma waren die Kriegsjahre nicht schlecht verlaufen. Als die Bielefelder Stadtverwaltung 1915 eine Liste derjenigen Unternehmen zusammenstellte, von denen bekannt war, dass sie Heeresaufträge erhalten hatten, stand neben den Betrieben der örtlichen Metall- und Textilindustrie die Firma Oetker. Zudem sprang die allgemeine Nachfrage nach Backpulver in die Höhe, nachdem die Behörden Ende 1915 verboten hatten, Hefe für Backzwecke einzusetzen. In den Kriegsjahren, 1917 ausgenommen, konnte die Nährmittelfabrik |101| daher den Absatz ihrer Produkte beträchtlich steigern. 1918 verkaufte das Unternehmen nicht weniger als 300 Millionen Päckchen. Der Umsatz lag in diesem Jahr doppelt so hoch wie 1914, wobei ein Teil des Zuwachses aber wohl durch den allgemeinen Anstieg der Preise zu erklären sein dürfte. Das
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