Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
Hauptprodukt erreichte eine neue Popularität. »Die Hausfrau hat im Ersten Weltkrieg erkannt, welchen Wert Backpulver hat«, hieß es Jahrzehnte später in einer Jubiläumsschrift. »Seit jener Zeit ist unser Backin zum Kücheninstrument schlechthin geworden.«
Außerdem kam dem Unternehmen zugute, dass die ausländische Konkurrenz während des Weltkriegs vom deutschen Markt verdrängt worden war. August Oetker selbst hatte in seiner Werbung die nationale Karte gespielt: »Deutsche Hausfrauen! Kauft von jetzt ab nur noch deutsches Gustin statt des bisher vielfach verwendeten englischen Fabrikats Mondamin«.
Weil die Firma Oetker keine Aktiengesellschaft war, musste nicht veröffentlicht werden, wie sich ihre Gewinne während der Kriegsjahre entwickelten. Aber es ist anzunehmen, dass sie ähnlich hoch ausfielen wie bei anderen Bielefelder Unternehmen, die Heeresaufträge erhalten hatten und hohe Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten konnten. Die staatlichen Auftraggeber waren außerstande, die Preise ihrer Lieferanten wirksam zu kontrollieren. Die Generäle wollten mit Hilfe der Industrie den Krieg gewinnen. Sie dachten nicht daran, Steuergelder zu sparen. Es war ja ohnehin geplant, nach dem Krieg dem besiegten Feind die Rechnung zu präsentieren.
Als es für die Firma Oetker schwierig wurde, Rohstoffe zu bekommen, erwies es sich als vorteilhaft, dass das Unternehmen in den Vorkriegsjahren mehrere Konkurrenten übernommen hatte. So konnte es nun auf die Zuteilungen zurückgreifen, die die Tochterfirma Reese in Hameln bekommen hatte. Zudem experimentierte die Firma mit allerhand Ersatzstoffen. Deren Qualität war allerdings teilweise so schlecht, dass sie mit den vorhandenen Maschinen nicht verarbeitet werden konnten. Zeitweilig mussten die Mischungen daher wieder von Hand abgefüllt werden. Als es keine Stärke mehr zu kaufen gab, die das Unternehmen |102| zur Herstellung des Puddingpulvers brauchte, kam man bei Oetker auf die Idee, Molke zu trocknen.
Es waren nicht diese praktischen Schwierigkeiten, die dazu führten, dass August Oetker Kraft und Lebensmut verlor. Viel stärker lastete der Tod des einzigen Sohnes auf ihm. Mit wachsendem Gram ging der körperliche Verfall des Unternehmers einher. 1917 erkrankte August Oetker schwer. Er fühlte, dass er nicht mehr lange leben würde. Seine letzte Kraft verwandte er darauf, die Nachfolge zu regeln. Nach seinem Tod sollte die Führung des Unternehmens in guten Händen liegen.
Es hätte nahe gelegen, dass sein jüngerer Bruder Louis die Aufgabe übernahm, der damals die Firma Reese in Hameln leitete. Stattdessen fasste August Oetker 1917 den Entschluss, seinen tüchtigsten Bielefelder Mitarbeiter zum Teilhaber zu machen. Dieser Fritz Behringer stand dem Inhaber auch menschlich nahe. Er war derjenige gewesen, der den Leichnam Rudolf Oetkers aus Verdun nach Bielefeld geholt hatte. August Oetker arbeitete einen Vertrag aus, nach dem Behringer mit Beginn des Jahres 1918 Geschäftsführer und Miteigentümer des Unternehmens werden sollte. Er bestimmte, dass sich Behringer bei wichtigen Entscheidungen mit der Witwe Caroline Oetker abstimmen sollte. In seinem Testament formulierte der Fabrikant ferner den Wunsch, dass das Unternehmen möglichst unverändert für den Enkelsohn Rudolf-August erhalten bleiben sollte. Der Knabe war 1916 geboren worden, als sein Vater bereits gefallen war.
Der Fabrikant hatte seine letzten Dinge gerade noch rechtzeitig geregelt. Das neue Jahr hatte kaum begonnen, als August Oetker starb. Am 10. Januar 1918 tat er seinen letzten Atemzug, vier Tage nach seinem 56. Geburtstag.
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8. »Jüdischen Einfluss ausgeschaltet«
Richard Kaselowsky und der Kampf um das Erbe
A ls sich der Pulverdampf in Europa verzogen hatte, standen alle Staaten, auch die siegreichen, schlechter da als vor dem Krieg. Das nationale Schicksal spiegelte sich im privaten Unglück unzähliger zerstörter Familien. 2,4 Millionen deutsche Soldaten waren umgekommen und weitere 2,7 Millionen Männer auf Dauer gesundheitlich beeinträchtigt. Auch die Unternehmerfamilie Oetker war schwer getroffen worden. Der Sohn Rudolf war gefallen, der Vater August im letzten Kriegsjahr gestorben. Damit fehlten dem Unternehmen beim Neuanfang nach dem Krieg die beiden wichtigsten Männer, der Gründer und sein Nachfolger. Die Familie Oetker in Bielefeld bestand nur noch aus zwei Witwen und zwei Kleinkindern.
Deutschland befand sich derweil mitten in einer
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