Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
bis zu 50 Millionen Päckchen pro Monat absetzen. Allerdings fehlte es an Rohstoffen, um die nachgefragte Menge zu produzieren.
Der wichtigste Zulieferer war damals ein Unternehmen mit dem Namen Chemische Fabrik vorm. Goldenberg, Geromont und Cie. Die Firma hatte ihren Sitz in Winkel im Rheingau und lieferte Weinstein und Zitronensäure nach Bielefeld. Fritz Behringer bat diesen Lieferanten inständig, ihm mehr Rohstoffe zu beschaffen: »Schickt nur, was ihr könnt«, forderte er sie auf, »Oetker kann alles gebrauchen«. Die Chemische Fabrik Goldenberg reagierte prompt und der Erfolg blieb nicht aus. Im April 1920 produzierten die Oetkers so viel Backpulver wie noch niemals zuvor in ihrer Geschichte. 40 Millionen Päckchen |106| »Backin« gingen an die Händler. Eine Hochstimmung erfasste den Firmenchef Behringer und die Mitarbeiter. Die neue Zeit begann verheißungsvoll.
Auch Caroline Oetker und ihre Schwiegertochter Ida fassten neuen Mut. Um die junge Frau und ihre beiden kleinen Kinder kümmerte sich zu dieser Zeit ein Jugendfreund ihres verstorbenen Mannes, Richard Kaselowsky. Was als Fürsorge begann, sollte bald mehr werden. Ida Oetker und der drei Jahre ältere Kaselowsky fanden Gefallen aneinander. Es passte ja so gut. Der Mann war ledig und stammte ebenfalls aus einer namhaften Bielefelder Familie.
Richard Kaselowsky war am 14. August 1888 geboren worden und somit etwas älter als Rudolf Oetker. Er hatte das Gymnasium in Bielefeld bis zur Quinta besucht, war dann aber mit seinen Eltern für drei Jahre nach Berlin gezogen, da sein Vater, der Kaufmann Richard Kaselowsky senior, als nationalliberaler Abgeordneter in den preußischen Landtag gezogen war. Kaselowskys Mutter Elise war eine geborene Delius und stammte aus der damals wohl vornehmsten Familie des Bielefelder Textiladels.
Seine Abiturprüfung hatte der junge Kaselowsky 1907 in Bielefeld abgelegt. Anders als der zielstrebige Rudolf Oetker hatte er nicht recht gewusst, was er mit seinem Leben machen sollte. So hatte er zunächst ein Jurastudium in Bonn und Berlin begonnen, es aber nach anderthalb Jahren abgebrochen. Bei der Rheinisch-Westfälischen Disconto-Gesellschaft in Bochum hatte Kaselowsky dann eine Lehre als Bankkaufmann durchlaufen. Im Oktober 1910 hatte er sich als Einjährig-Freiwilliger zum Militär gemeldet und war in München eingerückt. Doch dort war er schwer erkrankt. Weil ihn chronische Kreislaufstörungen plagten, war er als untauglich aus dem Militärdienst entlassen worden.
Danach war Kaselowsky wieder nach Berlin gezogen und hatte eine Zeit lang beim Bankhaus Delbrück, Schickler & Co. gearbeitet. In der Hauptstadt des Kaiserreichs hatte er seinen Schulfreund Rudolf Oetker wieder getroffen, und die beiden hatten häufig ihre Freizeit miteinander verbracht. Im April 1913 war Kaselowsky zur weiteren Ausbildung |107| nach London übergesiedelt, wo er in einer Bank hospitiert hatte. Aber der Mittzwanziger hatte schon bald auch die Lust am Geldgeschäft verloren. In England hatte Kaselowsky einen erfolgreichen Geflügelzüchter kennen gelernt und seinen Vater um die Erlaubnis zum Berufswechsel gebeten. Als er sie bekam, hatte er auf einer Farm im englischen Orpington eine entsprechende Lehre angefangen.
Im Frühjahr 1914 war Richard Kaselowsky nach Deutschland zurückgekehrt und hatte für einige Monate eine Lehranstalt für Geflügelzucht in Erlangen besucht. Anschließend hatte er in der Nähe von Bad Nauheim, wo seine Eltern mittlerweile lebten, einen eigenen Zuchtbetrieb begonnen. Der Ausbruch des Kriegs hatte für ihn als Untauglichen – anders als für seinen Freund Rudolf Oetker – keinen Einschnitt in sein Leben mit sich gebracht.
Im Jahr 1916 war der Geflügelzüchter Kaselowsky dann doch eingezogen worden. Zu seinem Glück war er aber nicht an die Front geschickt worden, sondern zum Stellvertretenden Generalkommando des XVIII. Armeekorps in Frankfurt gekommen. Dort hatte er keine sonderlich aufreibende Arbeit gehabt, so dass er die Zeit nutzen konnte, um nach Dienstschluss an der Universität betriebswirtschaftliche Vorlesungen zu hören. Richard Kaselowskys Unstetigkeit hatte sich im Laufe der Jahre nicht gelegt, auch das Interesse an der Geflügelzucht erwies sich als nicht dauerhaft. Dafür schien ihn ein später Ehrgeiz gepackt zu haben. Er studierte zielstrebig und verließ die Universität als examinierter Diplomkaufmann. Im Juli 1919 wurde er sogar mit einer Dissertation über den »Rheinisch-Westfälischen
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