Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
flott von der Hand ging«.
1924 nahm noch ein zweites Zweigwerk die Produktion auf. Dieser Betrieb war in Danzig eingerichtet worden, das damals ein Freistaat war. Von dort aus wollte Kaselowsky die Verbraucher in den östlichen Gebieten versorgen, die Deutschland mit dem Ersten Weltkrieg verloren hatte.
Auch in Bielefeld selbst standen die Zeichen auf Expansion. |122| Kaselowsky und Louis Oetker bauten die Abteilung, in der die Papierbeutel und Faltschachteln hergestellt und bedruckt wurden, zu einem eigenständigen Großbetrieb aus. Sie schafften eine Vielzahl neuer Schneide- und Druckmaschinen an. Seither konnte das Unternehmen zahlreiche Verpackungen, die es zuvor bei anderen Firmen kaufen musste, selbst herstellen. Im März 1925 zogen Arbeiter dafür einen Neubau an der Bielefelder Steinmetzstraße hoch.
Ein neuer Mann brachte Schwung in die Oetker-Werbung. Paul Sackewitz war in eine Firma gekommen, die beim Backpulver einen Marktanteil von 95 Prozent hatte. Er erkannte, dass der Absatz nur zu steigern war, wenn sich mehr junge Frauen für die Hausbäckerei erwärmten. Zeitungsanzeigen allein reichten nicht. Sackewitz kam auf die Idee, Oetker-Propagandisten im ganzen Land Vorträge und Kurse über das Backen halten zu lassen. 1926 wurde dafür ein Außendienst aufgebaut. Kleine Trupps reisten durch die Lande, mieteten sich in Gasthäusern und Scheunen ein, und führten abends der weiblichen Dorfbevölkerung vor, wie man mit Dr. Oetkers Erzeugnissen Kuchen backte. Die Vorführer verteilten Kostproben unter ihren Zuhörerinnen und forderten sie auf, beim Kauen auf Mandeln zu achten. Die Frau, die eine fand, bekam ein Kochbuch geschenkt. Um auch den Pudding zu bewerben, machte Sackewitz den deutschen Müttern in Zeitungsanzeigen regelrechte Vorhaltungen. »Gibst du deinem Kinde auch genügend Oetker-Pudding, damit es gedeiht?«, lautete die strenge Frage.
In Berlin und später auch in einigen anderen Großstädten gründete das Unternehmen gemeinsam mit der Firma Henkel so genannte Oetker- und Persil-Schulen. Junge Frauen konnten sich dort in die Kunst des Kuchenbackens und die Feinheiten der Hauswäscherei einführen lassen. Es gab Gratisproben und andere Werbegeschenke, darunter einen praktischen Rührknüppel für den Waschkessel, der sich zur Freude vieler Jungen auch beim Schlagballspiel einsetzen ließ.
Richard Kaselowsky sorgte unterdessen dafür, dass die altertümlichen Produktionsabläufe in der Nahrungsmittelfabrik rationalisiert wurden. Er informierte sich in einem Buch des US-Industriellen Henry |123| Ford über die Vorteile des damals noch so genannten laufenden Bandes. Im eigenen Betrieb ließ er eine Schwebebahn und ein Rollenband einrichten. Die Arbeit wurde leichter, aber auch eintöniger.
Kaselowsky setzte, nachdem er sich einmal etabliert hatte, alles daran, seinen Einflussbereich auszuweiten. So gelang es ihm 1925, neben der Firma Oetker ein weiteres traditionsreiches Bielefelder Unternehmen unter seine Kontrolle zu bringen. Auf Kaselowskys Betreiben übernahm die Firma Oetker die Mehrheit der Anteile bei der Druck und Verlagsgesellschaft E. Gundlach AG.
Dieses Familienunternehmen war 1847 von einem Buchbindermeister namens Ernst Ludwig Gundlach gegründet worden. Als die Söhne des Gundlach-Gründers Ende des 19. Jahrhunderts die Leitung der Firma übernommen hatten, war einer ihrer Kunden der junge Apotheker August Oetker gewesen. Für dessen Backpulverfabrikation hatten die Gundlachs Tüten und Verpackungen bedruckt. Ein Zufall war, dass die Gundlach-Brüder dieselben Vornamen trugen wie zwei der Bielefelder Oetker-Brüder – August und Louis.
Anders als der stets auf Unabhängigkeit bedachte August Oetker hatten sich die Gundlachs schon frühzeitig vom Modell einer Familienfirma verabschiedet und Ausschau nach weiteren Kapitalgebern gehalten. Zur Jahrhundertwende hatten sie ihr Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und neue Kapitalgeber eingeladen. Zu diesen neuen Aktionären bei Gundlach hatte Richard Kaselowskys gleichnamiger Vater gehört.
Mit dem Geld ihrer neuen Aktionäre war die E. Gundlach AG um die Jahrhundertwende in ein weiteres Geschäftsfeld vorgestoßen. Das Druck- und Verlagshaus hatte im September 1900 eine Tageszeitung auf den Markt gebracht, den
Bielefelder General-Anzeiger.
Das Wagnis hatte sich gelohnt. Mit seiner bürgerlich-liberalen Ausrichtung hatte sich das Blatt neben dem konservativen
Bielefelder Tageblatt
und der
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