Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
ärztlichen Helfer zu dieser Zeit schon mit der so genannten Euthanasie begonnen. Pastor Friedrich von Bodelschwingh fragte den Mindener Regierungspräsidenten in einem Brief: »Soll ich die Tat der Engländer verurteilen und kurz darauf meine Hand reichen zu einem ›Kindermord‹ in Bethel weit größeren Umfangs?«
Als Deutschland den Krieg im September 1939 mit dem Überfall auf Polen begann, eröffnete die deutsche Luftwaffe zugleich auch den Bombenkrieg – mit einem terroristischen Luftangriff auf Warschau. Dass die Deutschen den Bombenkrieg erfunden hätten, wie später behauptet wurde, stimmt allerdings nicht. Die ersten Sprengsätze hatte 1911 ein italienischer Militärflieger in der Nähe von Tripolis abgeworfen, die Opfer waren Araber. Später hatten Franzosen, Briten und |190| Spanier in ihren Kolonien Aufständische aus der Luft angegriffen. Im Spanischen Bürgerkrieg hatte dann die deutsche Legion Condor Sprengsätze in großer Zahl auf wehrlose Städte niedergehen lassen, eine davon war Guernica.
Es dauerte nach Kriegsbeginn nur wenige Monate, bis die Deutschen die Bedrohung aus dem Himmel am eigenen Leib erfuhren. Im Frühjahr 1940 flog die britische Luftwaffe ihre ersten Angriffe auf das »Dritte Reich«. Die Flugzeuge der Royal Air Force bombardierten Fabriken und Wohnsiedlungen. Hatte Premierminister Winston Churchill eine andere Wahl? England stand damals allein im Kampf gegen ein siegreiches Großdeutschland, das bereits Frankreich, Belgien, Holland, Polen und die Tschechoslowakei besetzt hielt. Als Reaktion auf die britischen Angriffe ließ Hitler dann London, Birmingham, Coventry und Glasgow bombardieren.
Das neue Oetker-Zweigwerk in Hamburg-Hammbrook erhielt die ersten Treffer schon, als dort noch keine Maschine aufgestellt war. Nach einem Angriff im Oktober 1940 brannten die oberen Stockwerke in einem der Fabrikgebäude am Grünen Deich aus. Das Werk lag in einer Gegend, die eine Reihe lohnender Ziele für die britischen Bomber bot. Eisenbahnstrecken, Schleusen, Kraftwerke und die große Elbbrücke waren in der Nähe. Im Mai 1941 traf ein Reihenabwurf von Sprengbomben die im Aufbau befindliche Nahrungsmittelfabrik. Die Schäden konnten schnell wieder beseitigt werden. Später fielen auch Brandbomben, aber die Feuer wurden jedes Mal durch Mitarbeiter gelöscht.
Nachdem die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 in die Sowjetunion eingefallen war, weitete Churchill den Luftkrieg auf die deutsche Zivilbevölkerung aus. Zum Oberbefehlshaber der Bomberflotte ernannte er den unerbittlichen Arthur Harris. Der Luftmarschall ließ Lübeck von oben in Brand setzen und schickte im Mai 1942 fast 1000 Flugzeuge zum Bombardement nach Köln. Anfang 1942 waren die USA in den Krieg eingetreten und unternahmen seither präzise Luftschläge gegen deutsche Rüstungsfabriken und militärische Ziele. Die Royal Air Force hingegen konzentrierte sich auf nächtliche Angriffe deutscher Städte mit dem Ziel, »die Moral der deutschen Zivilbevölkerung |191| insgesamt zu zerstören, und die der Industriearbeiter im Besonderen«, wie Churchill es vorgegeben hatte.
Bis zum Sommer 1943 war Hamburg 141-mal aus der Luft angegriffen worden. Die Verluste und Schäden waren aber gering ausgefallen. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli griffen dann aber 700 britische Bomber auf einmal die Hansestadt an. Die Bomben fielen vor allem auf die Stadtteile des Hamburger Westens, auf Altona, St. Pauli und Eimsbüttel. Zerstört wurde neben zahlreichen anderen Gebäuden auch der alte Elbspeicher, in dem sich bis 1941 das Oetker-Zweigwerk befunden hatte.
Die Villa des jungen Konzernherrn Rudolf-August Oetker am Ostufer der Alster erhielt ebenfalls einen Treffer, der das Haus zertrümmerte. Es ist denkbar, dass diese Bombe einer Eisenbahnbrücke galt. Zur Tarnung der Lombardsbrücke hatten die Behörden die Binnenalster mit einer Plane abdecken lassen und über die Außenalster, an der Oetkers Haus lag, eine Brückenattrappe gelegt. Ob Rudolf-August Oetker an diesem Tag in Hamburg war, ist nicht überliefert. Verbürgt ist aber, dass er sich wenige Tage später in der Hansestadt aufhielt, als sich dort eine der schlimmsten Katastrophen des Zweiten Weltkriegs ereignete: die »Operation Gomorrha«, ein menschenverschlingender Feuersturm.
Das Oetker-Zweigwerk am Grünen Deich war beim ersten Luftangriff unbeschädigt geblieben. Doch die Arbeit stand still. Viele Werkangehörige waren obdachlos geworden. In der Stadt herrschte
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