Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
gewesen. Der von ihm geführte Betrieb konnte schon zu einer Zeit als Musterbetrieb gelten, als es den Begriff ›nationalsozialistischer Musterbetrieb‹ noch nicht gab.«
|199| Für Rudolf-August Oetker bedeutete der Tod seines Stiefvaters, dass sich seine eigene Chance, den Krieg zu überleben, verbessert hatte. Kaselowsky hatte sich zu seinen Lebzeiten bemüht, seinen Stiefsohn aus der Gefahr herauszuhalten. Sein Tod bewahrte Oetker möglicherweise davor, das Schicksal unzähliger Männer seiner Generation zu teilen, die im »totalen Krieg« ihr Leben verloren. Nach einem Lehrgang war Oetker 1944 zum Untersturmführer der Waffen-SS befördert worden. Das war der niedrigste Offiziersrang und entsprach dem eines Leutnants beim Heer. Nach dem Bombenangriff im September 1944 wurde der Konzernerbe dann aber aus dem Militärdienst entlassen. Er durfte sich auf den Weg nach Bielefeld machen und sich um das Familienunternehmen kümmern.
Fritz Kranefuß schrieb vier Wochen später noch einen zweiten Brief an Himmlers Referenten Brandt. Darin berichtete er von einem Besuch. »Gestern war Herr Rudolf Oetker, der Stiefsohn des verstorbenen Herrn Dr. Richard Kaselowsky, bei mir und ich hatte die Möglichkeit, ihn zu fragen, an wen von den verschiedenen Kindern ein Schreiben des Reichsführers zu richten sein würde. Er nannte mir seine ältere Schwester, Frau Ursula Oetker, Rittergut Hornoldendorf bei Detmold.« Diese gelte derzeit als »Familienoberhaupt«. Kranefuß selbst hielt es für passender, wenn Himmler den fälligen Kondolenzbrief dem jungen Rudolf-August schickte. »Er ist der eigentliche Erbe der Oetkerschen Betriebe und wird wohl nun die Nachfolge seines Stiefvaters als Betriebsführer antreten.«
Rudolf-August Oetker war gerade 28 Jahre alt geworden, als ihm 1944 die Verantwortung für die Firma zufiel. Er war jetzt weitgehend auf sich gestellt. Allerdings hatte er auch während der Kriegsjahre vieles von seinem Stiefvater lernen können, was die Führung eines Unternehmens betraf und die Verwaltung von Finanzbeteiligungen. Seit 1941 gehörte Oetker der Geschäftsführung an, schon Ende 1942 war er in den Aufsichtsrat der Hamburg Süd eingezogen. »Einen besseren Vater als Richard Kaselowsky könnte ich mir nicht vorstellen«, sollte Oetker mehr als fünf Jahrzehnte später sagen, »einen besseren Lehrherrn für mich auch nicht.«
|200| Im März 1945 stießen die amerikanischen Streitkräfte bis in die Nähe Bielefelds vor. Die örtlichen Machthaber waren uneins darüber, ob und wie die Stadt verteidigt werden sollte. Während der Kreisleiter der NSDAP bis zum Schluss fanatisch blieb, begriff Oberbürgermeister Budde, dass es zu Ende war. Am 4. April wehte die weiße Fahne vom Rathaus und signalisierte die Kapitulation der Stadt. Die NS-Parteigrößen flüchteten. Budde fuhr den anrückenden Besatzern mit dem Fahrrad entgegen und erklärte, dass sie keinen Widerstand zu erwarten hätten.
Drei Tage nach dem Einrücken der Amerikaner starb Caroline Oetker im nahe gelegenen Dorf Ebbesloh auf dem Gestüt der Kaselowskys. Die Witwe des Firmengründers wurde 77 Jahre alt. Sie vollendete ein Leben, das ihr schwere Schicksalsschläge versetzt hatte. Caroline Oetker hatte im Ersten Weltkrieg ihren einzigen Sohn verloren und in der Folge dann auch ihren Mann. Im Zweiten Weltkrieg hatte sie erleben müssen, wie ihre Schwiegertochter mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern den Bomben zum Opfer fielen.
Immerhin blieb es Caroline Oetker erspart, zu erfahren, wie sich 1945 der Name der Reederei Hamburg Süd mit einer der größten Katastrophen der Schifffahrt verband. Wenige Tage vor Kriegsende wurde das Flaggschiff der Gesellschaft zu einem Massengrab für Tausende von unschuldigen Menschen.
Die Cap Arcona war 1927 als Luxusliner mit Schwimmbad, Turnhalle und Tennisplatz gebaut worden. Mit ihren drei Schornsteinen galt sie vielen Menschen als das schönste Schiff ihrer Zeit, als die »Königin des Südatlantiks«. Nach dem deutschen Überfall auf Polen war sie 1939 nach »Gotenhafen« verlegt worden, wie die Besatzer damals den polnischen Hafen Gdynia nannten. Dort hatte sie der deutschen Kriegsmarine als Wohnschiff gedient. Auf der Cap Arcona hatten junge Männer auf ihren Einsatz als U-Boot-Fahrer gewartet und junge Frauen waren in Lehrgängen auf dem Schiff zu Marinehelferinnen ausgebildet worden. Für eine kurze Zeit hatte das Schiff 1942 sogar als Kulisse für einen ersten Film über den Untergang der Titanic
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