Die Oetkers - Geschaefte und Geheimnisse ber bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands
gedient.
|201| Als die Russen gegen Ende des Kriegs nach Polen vorrückten, hatten der Kapitän und die Besatzung das Schiff wieder seeklar gemacht. Sie hatten auf der Cap Arcona deutsche Flüchtlinge aus dem Osten in Sicherheit gebracht: verwundete Soldaten, NSDAP-Funktionäre und Zivilisten. Bei drei aufeinander folgenden Reisen waren 26000 Menschen in den Westen befördert worden. Kapitän Gerdts hatte allen Grund, auf sich und seine Besatzung stolz zu sein. Aber wie sollte es weitergehen?
Im Februar 1945 lag die Cap Arcona in Neustadt in Holstein vor Anker. Die Maschinen waren defekt, das Schiff nicht mehr seetauglich. Am 20. Februar kam ein Fachmann der Kriegsmarine an Bord, inspizierte die technischen Anlagen und diskutierte mit dem Kapitän über Reparaturen und die weitere Verwendung des Schiffes. Als dieser Mann die Kapitänskajüte verließ, blieben sein Mantel und seine Dienstwaffe liegen. Mit dieser Pistole schoss sich der Kapitän der Cap Arcona gegen 22 Uhr eine Kugel in den Kopf. Was ihn in den Tod getrieben hat, wurde niemals aufgeklärt. Die Vermutung liegt aber nahe, dass er wusste oder ahnte, was geschehen würde.
Als der neue Kapitän Heinrich Bertram das Kommando auf der Cap Arcona übernahm, machte sich die SS gerade daran, die letzten Konzentrationslager zu räumen. Himmler wollte nicht nur Beweise der Verbrechen beseitigen, sondern auch die Zeugen. Die Häftlinge sollten den Alliierten nicht lebend in die Hände fallen, lautete der Befehl. Die Evakuierungen der Konzentrationslager und die folgenden Todesmärsche markierten den letzten Höhepunkt im Leiden vieler KZ-Opfer.
Dem Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann war daran gelegen, dass die Briten in der Stadt nicht auf KZ-Opfer trafen. So trieben SS-Schergen rund 2700 Gefangene des Konzentrationslagers Neuengamme nach Schleswig-Holstein. Dort sollten sie mit einigen Tausend anderen KZ-Häftlingen auf Transportschiffe gebracht werden – womöglich mit dem Plan, die Schiffe mit den Gefangenen zu versenken. Aber genau hat sich das bis heute nicht aufklären lassen.
Der Kapitän der Cap Arcona versuchte im April 1945 vergeblich, den Luxusdampfer für seine Reederei zu retten. Heinrich Bertram weigerte |202| sich, Häftlinge an Bord zu nehmen. Er telefonierte mit dem Vorstandsvorsitzenden der Hamburg Süd John Eggert und versuchte dann mit Hilfe von Bekannten bei der Kriegsmarine, die Beschlagnahme des Schiffes durch die SS zu verhindern. Vergeblich. Es regierte rohe Gewalt. Ein SS-Kommando ergriff den Kapitän und drohte ihm mit standrechtlicher Erschießung. Da fügte Bertram sich. Vielleicht hätte Richard Kaselowsky, Großaktionär und Aufsichtsratsmitglied der Hamburg Süd, mit seinen SS-Kontakten mehr erreicht, aber der lebte ja nicht mehr.
Bis zum Abend des 30. April 1945 wurden rund 4 600 Häftlinge an Bord der Cap Arcona gebracht. 500 Bewacher hielten sie in Schach. Einige Häftlinge hatten das Glück, in den früheren Luxuskabinen gefangen zu sein, wenn auch zu jeweils zwölf Mann. Viele der Häftlinge aber waren unter Deck in fensterlose Stauräume eingepfercht worden. Es fehlte an Trinkwasser und Proviant. An jedem der folgenden Tage starben 15 bis 30 Menschen. Die Leichen wurden an Deck gestapelt.
Am 3. Mai 1945 gegen 14.30 Uhr griffen britische Kampfflugzeuge die Cap Arcona und den Dampfer Thielbek, auf dem sich weitere 2800 KZ-Häftlinge befanden, mit Raketen an. Die Briten hatten wohl den Verdacht, dass führende Nationalsozialisten nach Norwegen fliehen wollten. Zudem lag ihnen daran, sämtlichen verbliebenen Schiffsraum zu zerstören. Aber es gibt auch Hinweise darauf, dass sie neuartige Waffen ausprobieren wollten.
Kapitän Bertram hatte eine weiße Flagge gehisst, und verzweifelte Häftlinge winkten mit weißen Tüchern. Doch das Schiff erhielt mehrere Treffer und geriet in Brand. Viele Häftlinge erstickten im Rauch. Andere liefen als lebende Fackeln umher und suchten Ausgänge. Panik hatte die Menschen erfasst. Im Treppenhaus stürzte die Decke herab und begrub die Fliehenden unter sich. In einer Stunde verbrannten mehr als 3000 Menschen. Einige wenige, die es nach oben schafften, gerieten an Deck in den Bordwaffenbeschuss der Bomber. Gegen 15.30 Uhr kenterte die Cap Arcona. Das Wasser war noch sehr kalt, so dass viele Häftlinge sofort ertranken. In Neustadt liefen Marineboote aus – allerdings nur, um Deutsche zu retten. Ihre Besatzungen |203| schossen sogar auf Häftlinge, die sich an den Booten festklammerten.
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