Die Oger - [Roman]
Schattenwurm war. Die Bedrohung, die von diesem Wesen ausging, war um einiges größer als die Gefahr, entdeckt zu werden oder sich mit schlecht ausgerüsteten Menschen anzulegen. Mogda spürte die Anspannung der anderen. Er selbst kannte das Wesen nicht und musste sich eingestehen, es auch nicht näher kennen lernen zu wollen. Jedoch jagte ihm allein die Vorstellung, von etwas bei lebendigem Leibe verschluckt zu werden, das ohne Vorwarnung aus der Erde hervorbrach, einen Schauer über den Rücken.
»Was meinst du, Cindiel, hinter wem von uns ist der Dämon wohl her?«, fragte Mogda leise, als er sicher war, dass die anderen ihn nicht hören würden.
»Das kann ich dir auch nicht sagen. So wie es aussieht, kommt jeder in Frage. Ich hoffe nur, du bist es nicht - und dazu weit weg, wenn er sich einen anderen holt.«
Cindiels Bemerkung machte ihn sprachlos. Sie kannten sich erst kurze Zeit, dennoch lag dem kleinen Mädchen schon so viel an ihm. Das war erstaunlich. Vielleicht hatte es etwas mit seinen neuen Fähigkeiten zu tun. Die Menschen wollten verstanden werden, egal ob von ihresgleichen oder von einem klugen Oger.
»Keine Angst, Prinzessin, ich passe schon auf mich auf. Wir haben es bis hierhergeschafft, da sollte es doch auch möglich sein, den Rest des Weges zusammen zu beschreiten.«
Cindiel wippte auf seinem Nacken hin und her.
»Mach dir keine Sorgen, Mogda, wenn du doch gefressen wirst, kann ich sicherlich auf Rators Schultern weiterreisen.«
»Auf Rat ...?«
Dann erkannte er, dass sie ihn aufzog. Mit einem kurzen Pferdeschnauben trabte er an.
Im Schutz der Dämmerung näherten sie sich Sandleg von der südlichen Küstenseite her. Die Ausläufer der niedrigen Steilküste dienten ihnen als Deckung. Zwischen den herabgestürzten Steinbrocken bahnten sie sich ihren Weg zum Hafen. Auf der äußerst eigentümlichen Stadtmauer fanden sich keine Schießscharten, keine Kontrollgänge, und niemand patrouillierte darauf: einfach nur eine Mauer, die verhindern sollte, das Tor zu umgehen, wenn man nicht klettern konnte. Genauer gesagt, schützte sie nur vor neugierigen Blicken und Tieren, die nicht fliegen konnten. In die Stadt hineinzukommen war leicht, sich in ihr zu bewegen, ohne dass man auffiel, wenn man zwölf Fuß maß, war unmöglich.
Sie fanden einen seichten Übergang zwischen Stadtmauer und Meer. Das hüfttiefe Wasser bereitete den Ogern eher Unbehagen, als dass es sie wirklich behinderte.
Sandleg hatte eine vorgebaute Pier, auf der allerhand Tavernen und Stände aufgestellt waren. Mächtige, in Teer getränkte Stämme, stützten die Plattform mit ihren Hütten und deren Bewohnern.
Auf der Pier tummelten sich hunderte von Leuten, die noch ihren Geschäften nachgingen oder den Sonnenuntergang genossen. Der Lärm aus den Kaschemmen, der durch die halb geöffneten Fenster drang, ließ darauf schließen, dass sie übervoll besetzt waren, und das nicht gerade mit stummen Abstinenzlern.
Die Oger bewegten sich langsam durch die Dämmerung. Sie vermieden jede schnelle Bewegung, um sich nicht durch das plätschernde Geräusch des Wassers zu verraten. Der Leuchtturm, der etwas außerhalb der Bucht auf einem Felsen erbaut worden war, beschien nur die Hafeneinfahrt. Schnell war die Gruppe unentdeckt unter den Planken des Piers verschwunden. Unentwegt rieselte Dreck auf sie nieder oder, schlimmer noch, sie bekamen eine Dusche aus schmutzigem Wasser und Fischresten. Die Sonne war inzwischen untergegangen. Noch immer hatten die Oger mehr Probleme mit dem Wasser unter sich als mit dem Dreck und den vielen Menschen über sich. Ohne Unterlass starrten sie auf die nachtschwarze Wasseroberfläche. Von Zeit zu Zeit wischten sie treibenden Unrat beiseite, in der Hoffnung, auf diese Weise eine drohende Gefahr aus dem nassen Element früher zu bemerken.
Über ihnen tobte das Nachtleben. Neben den lautstarken Verhandlungen von Dirnen mit ihren Kunden, die meist versuchten, durch angebliche Konkurrenzangebote den Preis zu drücken, hörte man hier und da den Versuch, alte Seemannslieder wiederzugeben. Meist erstarben sie genauso schnell, wie sie aufkamen, sei es durch auftretende Textschwächen oder aber durch fehlendes Rhythmusgefühl. Was den Sängern an musischem Talent fehlte, wurde durch alkoholisierte Begeisterung wettgemacht.
Cindiel musste feststellen, dass die Bürger aus Sandleg noch um einiges grobschlächtiger waren als die in ihrer Heimatstadt Osberg. So ein Verhalten, wie es hier an den Tag oder, besser
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