Die Oger - [Roman]
lagen. Neben einem Federkiel und einem umgestürzten Tintenfass entdeckten sie noch einige Goldmünzen, eine leere Flasche Wein und ein angelaufenes Medaillon zum Aufklappen, das in der Innenseite die Gravur von zwei Gesichtern zeigte, eine junge Frau und einen jungen Mann. Auf dem Tisch war in großen Buchstaben der Name »Gischtkrone II« mit Intarsien eingearbeitet worden.
»Auf jeden Fall sind wir nicht die Ersten hier unten«, sagte Mogda beruhigt.
»Reinkommen immer leicht. Rauskommen schwierig«, stellte Rator daraufhin fest und blickte nach oben.
Sie ließen die Habseligkeiten auf dem Tisch unberührt. Niemand war froh darüber, Besucher zu haben, die sich zuerst die Taschen mit fremdem Eigentum füllten.
Mogda und Rator folgten einem fünfzehn Fuß hohen Tunnel, der sie gewunden in die Tiefe führte. Sie bestaunten das leuchtende Moos an den Wänden, das phosphorisierendes Licht abgab und in regelmäßigen Abständen an der Wand platziert schien.
Rator hatte seine Waffe griffbereit in der Hand, während Mogda darauf verzichtete, einen feindlichen Eindruck zu machen.
»Du schon mal etwas gesehen wie hier?«, fragte Rator.
Mogda schüttelte nur den Kopf. Ihm war es unverständlich, was einen Oger dazu bewegen könnte, sich hier unten zu verkriechen. Hier musste das ohnehin schwere Leben noch schwieriger sein. Man war auf das Wohlwollen von Tabal angewiesen, wenn man längere Zeit überleben wollte. Es gab so gut wie nichts zu essen, keinerlei Vegetation bis auf die leuchtenden Pflanzen und so gut wie kein Trinkwasser. Wer es schaffte, in diesen Höhlen zu überleben, hatte sicherlich kein Übergewicht.
Immer weiter folgten sie den Tunneln in die Tiefe. Etliche Male mussten sie umkehren, weil sie einen Gang genommen hatten, der urplötzlich im Fels endete.
»Na ja, auf jeden Fall haben sie sich in den letzten Jahren nicht so stark vermehrt, dass sie Platzprobleme bekommen hätten«, sagte Mogda grimmig, der an einer Kreuzung stand und sich nicht für eine Richtung entscheiden konnte.
»Vielleicht alle schon tot«, erwiderte Rator.
»Keinesfalls!«, kam eine tief dröhnende Antwort aus dem Gang gegenüber. »Wir vermehren uns nicht, und wir sterben auch nicht. Es sei denn durch fremde Hand.«
Mogda stierte in den Nebel, der, je länger der Gang wurde, umso undurchdringlicher schien. Rator hob seine große Doppelaxt vor die Brust und brummte. Vorsichtig tasteten sie sich voran. Der Gang öffnete sich in eine größere Halle, deren genaue Ausmaße jedoch vom Nebel verborgen blieben. Mit jedem Schritt fiel es ihnen schwerer, zu atmen. Das Schwefelgas kratzte im Hals und ließ ihre Augen tränen.
Unerwartet durchstießen sie die Nebelbarriere. Wie durch eine unsichtbare Wand wurde der weißgelbliche Qualm auf der anderen Seite gehalten. Sie standen in einer riesigen zerklüfteten Halle, deren längliches Ende im Dunkeln lag. Fünfzig Schritt vor ihnen stand ein breiter Thron aus Felsgestein mit dem Rücken zu ihnen. Über die Lehnen hingen zwei kräftige Arme fast bis zum Boden herab. Sonst war von der Gestalt auf dem Thron nichts zu erkennen. Mogda und Rator begaben sich vorsichtig im großen Bogen zur Vorderseite des Herrschersitzes. Die Kreatur saß regungslos da und wartete ab.
Mogda hielt mitten in der Bewegung inne, als sein Blick seitlich auf das Wesen im Thron fiel. Ein Schauer der Ehrfurcht den Blick abzuwenden, betrachtete er es. Mit seinen elf Fuß Größe überragte es jeden Oger, den Mogda kannte, um mindestens einen Kopf. Der Körper des Wesens strotzte nur so vor Kraft. Selbst die kleinsten Bewegungen wie das Drehen des Kopfes ließen die Muskelstränge unter seiner gelblich-braunen Haut tanzen. Es trug gebundene Lederstiefel, eine grüne Hose mit übergeworfenem Kettenrock, sowie zwei Kettenarmschoner und einen Kreuzgürtel mit Schulterschutz. Zwischen seinen Beinen lehnte ein Breitschwert von der Länge eines Menschen. All diese Sachen nahm Mogda aber nur nebensächlich wahr, denn sein Hauptaugenmerk lag auf etwas anderem: Das Wesen hatte zwei Köpfe.
Es stand außer Frage, dass es sich um einen Oger handelte, wenn nicht ...
»Zwei Köpfe«, sagte der Oger vom Thron herab mit dumpfer Stimme. »Sprecht es ruhig aus, dann ist es einfacher zu verkraften. Das ist das Geschenk von Tabal an uns für unseren Hochmut, ihn um mehr Intelligenz zu bitten. Er versteht es, mit Unverschämtheiten ihm gegenüber umzugehen.«
Nur der Kopf, dessen langer Haarzopf über seine Schulter hing, sprach zu
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