Die Oger - [Roman]
weißt du über Cindiel und ihre Großmutter?«, fragte Lord Felton mit einem Hauch Argwohn in der Stimme.
»Was soll ich schon wissen? Wahrscheinlich weniger als Ihr. Cindiel wurde in der besagten Nacht entführt, und ich war bei ihr. Die Narben in meinem Gesicht habe ich einem Oger zu verdanken: Ich zog sie mir zu, als ich mich und die Kleine in Sicherheit bringen wollte. Das Nächste, wovon ich hörte, war der Mord an der alten Gerba. Und kurz bevor Ihr mich gefangen genommen habt, erzählte mir jemand, dass Cindiel wieder in der Stadt gewesen sei und nun mit Freunden nach Sandleg reise.«
»So könnte man es auch ausdrücken - mit Freunden verreist.« Barrasch hatte sich das erste Mal seit Stunden in die Unterhaltung eingebracht. »Nur, dass ihre Freunde dreimal so groß und zwanzigfach schwerer sind als sie.«
Hagrim musste die Worte erst einmal auf sich wirken lassen. Er schaute Lord Felton ungläubig an.
»Keine Angst, Geschichtenerzähler, sie haben sie nicht entführt. So wie es aussieht, ist sie freiwillig bei ihnen.«
»Das passt zu ihr«, murmelte Hagrim.
»Nun, also noch Mal zurück zu dem Priester.«
»Es war kein Priester«, unterbrach Hagrim Lord Felton genervt. »Wahrscheinlich gab es nie einen Priester, immer nur dieses Monster.«
»Das sagst du, aber könnte man das auch vor Gericht beweisen?«
Jetzt erkannte Hagrim endlich, wo das Gespräch hinführen würde. Sie suchten einen Schuldigen, dem sie alles in die Schuhe schieben konnten. Dafür war er genau der Richtige. Ein alter Geschichtenerzähler ohne feste Bleibe. Niemand würde sich für ihn einsetzten, und niemand würde ihn vermissen.
Es half alles nichts, er musste seinen letzten Trumpf ausspielen. Er griff in eine kleine Gürteltasche an seinem Hosenbund und zückte die Phiole, die er dem toten Priester abgenommen hatte.
»Eigentlich wollte ich sie gegen etwas zu trinken eintauschen, da ich hier aber so äußerst gut bedient werde, lasse ich sie Euch umsonst zukommen.«
Er legte die Phiole auf den Tisch. Barrasch betrachtete sie von seinem Platz aus und blickte dann zu Lord Felton, der seinen Blick wie gebannt auf den Trank gerichtet hielt. Er formte Worte mit seinen Lippen, aber es drang kein Laut aus seinem Mund. Plötzlich erhob er sich, sah zu Hagrim und sagte: »Ich werde sehen, was ich für dich tun kann. Momentan wirst du allerdings noch ein Weilchen unser Gast bleiben müssen. Barrasch, bring ihn zurück in seine Zelle!«
Der Befehl kam für den Hauptmann aus heiterem Himmel, und Barrasch zuckte regelrecht zusammen.
»Natürlich, Eure Lordschaft«, erwiderte er verdattert, erhob sich und geleitete Hagrim aus dem Raum.
So unerwartet die Sitzung abgebrochen wurde, so unerwartet erklang auch die Stimme hinter der Stoffwand.
»Ihr habt einen Hinweis?«, ertönte eine dunkle männliche Stimme.
»Nein, eher eine übelriechende Vermutung«, sagte Lord Felton grantig.
Er ging zu seinem Schreibtisch und nahm die Phiole in die Hand. Er hielt sie ins Licht und drehte sie in den Fingern hin und her. Er atmete schwer aus und ging zurück zur Stoffwand, unter der er sie durchrollte.
»Erkennt Ihr das kleine Siegel am Korken? Es ist nur noch schwach zu sehen, aber es ist da.«
»Wer meiner Profession angehört, weiß was das ist. Die Schlange um den Stamm. Edder Listante, der Alchimist am Königshofe in Lorast. Enger Vertrauter und Freund von König Wigold. Und Ihr glaubt, dass er ...«
»Ich glaube gar nichts«, unterbrach Lord Felton den Mann hinter dem Vorhang ruppig. »Ich weiß nur, dass ein hochgestellter Bürger unserer Stadt nicht das war, was er zu sein vorgab, und er hat Einfluss auf wichtige politische Entscheidungen genommen. Und ich sage nur, es ist vielleicht möglich, dass sich so etwas in anderen Städten auch abspielen könnte.«
Lord Felton wusste, wie dünn das Eis war, auf dem er sich gerade bewegte. Unmut gegen den König oder einen seiner Getreuen zu äußern, blieb niemals ohne Folgen.
Der Mann hinter dem Paravent ließ Lord Felton einige Zeit, um darüber nachzudenken.
»Ich soll nach Lorast gehen und es herausfinden, sagt es ruhig. Ich muss nur wissen, wie weit ich gehen darf«, meinte er schließlich ruhig.
Lord Felton schien zu zögern, fasste dann aber einen Entschluss.
»Geht so weit Ihr gehen müsst, um alle Zweifel auszuräumen.«
Der Mann hinter der Wand verschwand durch die geheime Tür, die zum Friedhof führte, ohne etwas zu erwidern.
32
Verräter
Es war Nacht, als Mogda und Rator
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