Die Oger - [Roman]
Kraftanstrengung vor wenigen Minuten war Rator nichts anzumerken.
»Du nichts?«, fragte einer der Oger.
»Nein, Dürrfleisch zu salzig und schmeckt wie Orkschuhe.«
»Dörrfleisch«, berichtigte Cindiel Rator kleinlaut.
»Nein, auch nicht«, gab Rator kopfschüttelnd zurück.
»Nein, es heißt nicht Dürrfleisch, sondern Dörrfleisch«, sagte sie schulmeisterlich.
»Schmeckt dir?«, fragte Rator ein wenig aufbrausend.
»Nein, zu salzig«, erwiderte Cindiel.
»Dann doch egal wie Name«, beendete Rator die Unterhaltung schroff.
»Wie Orksandalen«, hörte er hinter sich Cindiel flüstern, als er sich schon von ihr abgewandt hatte. Er musste grinsen.
Rator ließ seine Fußfessel gerade wieder einrasten, als das Signal zum Aufbruch kam.
Doch diesmal war es anders. Der Wind hatte sich leicht gedreht und trug das tiefe Hornsignal zwischen den Passwänden hoch bis zum Gipfel. Mehrere leise Echos stimmten in den dumpfen Ton mit ein und überlagerten ihn. Ein gewaltiges tiefes Grollen löste das langsam verklingende Hornsignal ab. Rators Blick lag gebannt auf dem Gipfel. Kurz unterhalb der Bergspitze löste sich ein kleiner schneebedeckter Vorsprung, der sich seinen Weg unaufhaltsam nach unten bahnte und immer mehr Eis und Schnee mit sich riss. Wenn man die Lawine aus der Entfernung sah, hätte man sich an dem Anblick voller Ehrfurcht erfreuen können. Den Ogern, Orks und Kindern war dies aber nicht vergönnt, denn die Lawine rollte direkt auf sie zu und würde sich von nichts aufhalten lassen. Rator blickte von der Lawine zu seiner gerade angelegten Fußfessel, von da zu den Kindern und wieder zurück zur Lawine und murmelte dann einen saftigen Fluch, der sich nur einem Kriegsoger erschloss.
»Zur Höhle«, fauchte er, während er seinen Kumpan neben ihm am Brustpanzer vorwärtszerrte. Die drei Oger hasteten mit den Kindern im Schlepptau auf den Felsblock zu, hinter dem sich das geheime Proviantlager befand. Sie begannen sogleich wieder mit dem Verrücken des Steines. Einige der Kinder umfassten den Felsen ebenfalls, obwohl ihre Bemühungen angesichts der gewaltigen Ogerkräfte natürlich sinnlos waren. Das Grollen der sich nähernden Schneemassen verschluckte sämtliche Hilferufe und Panikschreie. Rator und seine zwei Kameraden arbeiteten weiter, scheinbar ohne sich um die herandonnernde Lawine zu kümmern.
Die Orks hingegen strömten in alle Richtungen auseinander und versuchten, Deckung zu finden, egal wie wenig Schutz sie versprach. Cindiel sah, wie sich einige von ihnen einfach nur hinsetzten und den Kopf zwischen die Beine klemmten.
Die Kinder konnten auf ihr Schicksal nicht viel Einfluss nehmen. Sie waren mit den Ogern fest verbunden und mussten ihren Bewegungen folgen. Wer zu langsam war, stürzte und wurde von der massigen Kraft der großen Wesen einfach mitgerissen, wobei sie meist die anderen Kinder auch zu Fall brachten. Die Lawine wurde immer schneller und riss immer mehr Geröll und einzelne Bäume mit sich. Die Sicht auf den Gipfel wurde von den heranwallenden Schneemassen vollständig verdeckt, und es konnte sich nur noch um Augenblicke handeln, bis der weiße Tod den Anfang des Passes erreichte und seine ersten Opfer forderte.
Cindiel drehte sich weg, um nicht mit ansehen zu müssen, was jetzt folgte.
Währenddessen gelang es Rator und den anderen beiden Ogern, den Felsbrocken zu bewegen und den Hohlraum freizulegen. Der Oger rechts von Rator zögerte keinen Augenblick, drängte die Kinder hinein und folgte ihnen. Rator, Cindiel und die anderen taten es ihm gleich. Der donnernde Lärm der Lawine wurde ohrenbetäubend laut und übertönte alle Schreie und Rufe. Der letzte Oger stieß die Kinder beiseite und hechtete in den Schutz der Lagerstätte. Die Lawine schickte eine weiße Schneewolke voran, die ihnen die Sicht nahm und den Atem raubte.
Die Temperatur sank innerhalb von Augenblicken wieder auf den Gefrierpunkt. Einen Atemzug später brach die volle Gewalt der Natur über sie herein. Der große Felsblock wurde einfach von den Schneemassen umgestoßen und versperrte halb den Höhleneingang. Die noch freie Hälfte des Eingangs wurde mit Schnee und Felstrümmern verschüttet. Der Oger, der sich zuletzt in Sicherheit gebracht hatte, steckte von den Oberschenkeln abwärts in den Trümmern fest und hatte das Bewusstsein verloren. Der Schnee um sein rechtes Bein färbte sich blutrot. Von den Kindern, die an ihn gekettet waren, fehlte jede Spur. Dann schwand das letzte bisschen Licht, das noch
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