Die Operation
Haarschopf, den er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Stephanie dachte immer, er könnte einem Poster aus der Hippiezeit der Sechzigerjahre entsprungen sein.
»Washington war ganz gut«, antwortete sie vage. Sie und Daniel waren übereingekommen, den anderen erst nach Abschluss der Geschichte mit Senator Butler davon zu erzählen.
»Heißt das, wir bleiben im Geschäft?«, fragte Peter.
»Sieht ganz danach aus«, gab Stephanie zurück. Sie steckte das Laptopkabel in die Steckdose und schaltete das Gerät ein. Kurze Zeit später war sie im Internet.
»Bekommen wir das Geld aus San Francisco?« Peter ließ nicht locker.
»Da musst du Daniel fragen«, erwiderte Stephanie. »Ich will mit dem Geschäftlichen nichts zu tun haben.«
Peter hatte verstanden und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Von dem Augenblick an, als Daniel sie gebeten hatte, sich im Rahmen des Butler-Projektes um all das zu kümmern, was mit dem Turiner Grabtuch zusammenhing, hatte sie ungeduldig auf diesen Moment gewartet. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, gleich nach ihrer morgendlichen Dusche und vor dem Eintreffen von Butlers Gewebeprobe damit anzufangen, doch dann hatte sie sich umentschlossen. Seitdem sie bei CURE eine Breitbandverbindung ins Internet nutzen konnte, kam ihr die Verbindung per Modem unendlich zäh und langsam vor. Außerdem hätte sie wahrscheinlich sowieso schnell wieder abbrechen müssen. Jetzt stand ihr noch der ganze Nachmittag zur Verfügung.
Sie startete die Google-Suchmaschine, gab TURINER GRABTUCH ein und klickte auf SUCHEN. Sie hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde. Zwar konnte sie sich noch dunkel an einige flüchtige Bemerkungen über das Grabtuch aus ihrer Kindheit erinnern - damals war sie noch praktizierende Katholikin gewesen und daran, dass es sich später, im ersten Jahr nach ihrem Studium, als Fälschung herausgestellt hatte, nachdem es mit der C-14-Methode datiert worden war. Aber sie hatte seit Jahren keinen Gedanken mehr an die Reliquie verschwendet und ging davon aus, dass es anderen Menschen ähnlich erging. Wieso sollte man sich schließlich für eine Fälschung aus dem dreizehnten Jahrhundert begeistern? Aber nur einen Wimpernschlag später, nach dem Abschluss der Google-Suche, wusste sie, dass sie Unrecht hatte. Verblüfft starrte sie auf die Zahl der Fundstellen: über achtundzwanzigtausenddreihundert!
Stephanie klickte das erste Suchergebnis an, die Homepage des Turiner Grabtuchs. Eine Stunde lang wurde sie von der Fülle der angebotenen Informationen vollkommen in Beschlag genommen. Auf der allerersten Seite las sie, dass das Grabtuch das meistuntersuchte Artefakt der Menschheitsgeschichte sei! Sie war überrascht. Immerhin interessierte sie sich sehr für Geschichte, hatte sogar neben ihrem Hauptfach Chemie im Nebenfach Geschichte studiert und einen Universitätsabschluss gemacht. Trotzdem war ihr Wissen über das Grabtuch nur begrenzt. Darüber hinaus las sie, dass eine ganze Reihe von Experten der Überzeugung waren, dass die Frage nach der Authentizität des Grabtuches auch durch die C-14-Datierung nicht geklärt war. Als Naturwissenschaftlerin wusste sie um die Zuverlässigkeit dieser Methode zur Altersbestimmung und konnte daher nicht begreifen, wie man zu solch einer Überzeugung gelangen konnte. Das wollte sie unbedingt herausfinden. Aber zuvor betrachtete sie sich noch die Fotos des Grabtuchs, die auf der Website sowohl als Positive wie als Negative zur Verfügung standen.
Stephanie erfuhr, dass der erste Mensch, der im Jahr 1898 das Grabtuch fotografiert hatte, sehr verwundert gewesen war, dass der Abdruck auf den Negativen so viel deutlicher zu sehen war als auf den Positiven. Und ihr ging es jetzt genauso. Auf dem Positiv war der Abdruck nur schwach erkennbar. Als sie das Bild betrachtete und nach den Umrissen des Abdrucks suchte, da musste sie an die Sommer ihrer Kindheit denken, als sie versucht hatte, in unendlichen Wolkenvariationen Gesichter, Menschen oder Tiere zu entdecken. Auf dem Negativ hingegen wirkte der Abdruck sehr beeindruckend! Er zeigte eindeutig einen Mann, der geschlagen, gefoltert und gekreuzigt worden war. Das warf die Frage auf, wie ein mittelalterlicher Fälscher wohl die Entwicklung der Fotografie hatte vorausahnen können. Wo auf dem Positiv nichts weiter als Flecken zu sehen gewesen waren, ließen sich nunmehr erschreckend realistische, blutige Rinnsale erkennen. Bei einem Blick zurück auf das Positiv stellte sie erstaunt fest,
Weitere Kostenlose Bücher