Die Operation
drehte sich um und betrachtete das Innere der Kathedrale. »Ich dachte, wir könnten uns hier drin noch ein bisschen umsehen, aber für eine italienische Renaissancekirche ist sie doch sehr schlicht.«
»Das habe ich auch gerade gedacht«, sagte Daniel. »Lass uns weitergehen. Wie wär’s mit einem Abstecher in den königlichen Palast? Die Inneneinrichtung soll der Inbegriff des Rokoko sein.«
Stephanie schenkte Daniel einen schiefen Blick. »Seit wann bist du denn ein Experte für Architektur und Inneneinrichtung?«
Daniel lachte. »Das habe ich im Reiseführer gelesen, bevor wir losgegangen sind.«
»Tja, ich würde mir den Palast wahnsinnig gerne anschauen, aber da gibt es ein Problem.«
»Welches?«
Stephanie blickte auf ihre Füße hinab. »Ich habe nicht daran gedacht, ein paar vernünftige Schuhe anzuziehen. Die hier waren eigentlich nur für das Mittagessen gedacht. Ich fürchte, meine Füße bringen mich um, wenn wir den ganzen Nachmittag hier herumtippeln. Tut mir Leid, aber würde es dir viel ausmachen, noch einmal kurz ins Hotel zurückzugehen?«
»Also, für mich ist alles, was wir jetzt noch machen, nachdem wir die Textilprobe haben, reiner Zeitvertreib. Es ist mir egal.«
»Vielen Dank«, sagte Stephanie erleichtert. In solchen Fällen konnte Daniel leicht ungeduldig werden. »Es tut mir wirklich Leid. Ich hätte es besser wissen müssen. Und wenn wir dann schon mal da sind, ziehe ich gleich noch einen anderen Pullover an. Es ist kälter, als ich gedacht hätte.«
Von ein paar harmlosen Streichen in seiner Zeit als Collegestudent einmal abgesehen, hatte Father Michael Maloney niemals wissentlich ein Gesetz übertreten, und die Tatsache, dass er jetzt kurz davor stand, regte ihn mehr auf, als er erwartet hatte. Nicht nur, dass er zitterte und schwitzte, er hatte auch so starkes Sodbrennen, dass er wünschte, er hätte ein säuredämmendes Mittel zur Hand gehabt. Dazu kam noch die Sorge, dass die Zeit nicht ausreichen könnte. Er wollte schließlich auf keinen Fall von den Amerikanern in flagranti ertappt werden. Zwar war er überzeugt davon, dass ihr Stadtbummel mindestens zwei Stunden in Anspruch nehmen würde, aber um wirklich sicherzugehen, setzte er sich ein Limit von einer Stunde. Der bloße Gedanke daran, erwischt zu werden, ließ seine Knie weich werden.
Noch auf dem Weg zum Grand Belvedere hatte er keine Ahnung gehabt, wie er sein Ziel eigentlich erreichen wollte, zumindest nicht, bis er kurz vor Erreichen des Hotels an einem Blumenladen vorbeikam. Er war in den Laden gehuscht und hatte sich erkundigt, ob eines der bereits fertigen Blumengestecke unverzüglich ins Hotel geliefert werden könnte. Als seine Frage bejaht worden war, suchte er eines der Gestecke aus, versah einen Briefumschlag mit den Namen der Amerikaner und schrieb auf die beigelegte Karte: Willkommen im Hotel Grand Belvedere. Die Geschäftsleitung.
Seitdem waren fünf Minuten vergangen und Michael saß auf demselben Sofa in der Hotellobby wie vorhin, als das Blumengesteck durch die Drehtür kam. Michael hielt sich die Zeitung vors Gesicht und beobachtete verstohlen, wie die Frau, mit der er im Blumenladen gesprochen hatte, die Blumen an der Rezeption ablieferte. Einer der Pagen quittierte den Empfang und die Frau verließ das Hotel.
Während der nächsten zehn Minuten passierte leider überhaupt nichts. Die Blumen standen auf dem Tresen und die Pagen waren in ein angeregtes Gespräch vertieft.
»Nun macht schon!«, sagte Michael lautlos und knirschte mit den Zähnen. Er wäre am liebsten hinübergegangen und hätte sich beschwert, aber das wagte er nicht. Er wollte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er hatte vor, die Vorzüge seines Priestergewandes voll auszunützen und möglichst harmlos oder sogar unsichtbar zu erscheinen.
Endlich warf einer der Pagen einen Blick auf den Briefumschlag und trat hinter den Tresen. An dem Lichtschimmer auf dem Gesicht des Mannes erkannte Michael, dass er auf einen Computerbildschirm schaute. Einen Augenblick später kam er hinter dem Tresen hervor, nahm die Blumen auf den Arm und ging in Richtung Fahrstuhl. Michael legte seine Zeitung beiseite und hielt sich dicht hinter ihm.
Als sich die Fahrstuhltüren schlossen, nickte der Page Michael grüßend zu. Michael lächelte zurück. Im vierten Stock stiegen sie beide aus. Michael ging ein kleines Stück hinter dem Pagen. Als dieser vor Zimmer 408 anhielt und anklopfte, ging Michael weiter. Der Page nickte noch einmal und lächelte.
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