Die Opferstaette
Lenas Verschwinden und die Zerstörung der Stätte etwa zur selben Zeit passiert waren. Aber wenn Zitaras’ Schilderung der Dinge zutraf, dann war es nichts weiter als Zufall. Deshalb musste ich McGanns Version der Dinge hören. Um sicherzugehen.
Und ich bezweifelte, dass Theo Mahon etwas mit Mord zu tun hatte. Ich hätte gern geglaubt, dass er sich außer der Zerstörung der Stätte nur den Namen Head for Heights zuschulden kommen ließ, der ganz so klang, als könnte er von ihm stammen.
Als ich mich der Flussmündung näherte, ließ die aufgehende Sonne die farbenfrohen Bauernhäuser hervortreten, die über die Halbinsel verstreut lagen. Sie leuchteten wie eine Lakritzmischung. Die Landschaft sah bei diesem Licht anders aus, und ich war mir nicht sicher, ob ich McGanns Wegbeschreibung
noch korrekt im Kopf hatte. Die zweite links nach der Kreuzung – oder war es die dritte? Dann sah ich etwas, das ich kannte – den keilförmigen Baum, der mir gezeigt hatte, wo ich links zu Kim Tyrell abbiegen musste.
Ich war verwirrt. War es die? Ich verlangsamte und bog ab. Mein Herz schlug heftig, während ich die Straße entlangfuhr. Dann fiel es mir wieder ein – ich sollte immer geradeaus fahren, bis ich den Shannon sah, dann links. Ich war sehr erleichtert – ich entfernte mich von einem Schauplatz, an den es mich nicht zurückzog. Erst dann fielen mir die Katzen ein. Vielleicht hatten Freunde oder Verwandte von Kim sie abgeholt. Aber ich durfte es nicht dem Zufall überlassen. Ich würde später zum Cottage fahren und sie einfangen müssen, falls sie noch da waren.
Knapp zehn Minuten später fuhr ich auf einer schmalen Straße, die parallel zu einer Mauer verlief, über die man auf Watt und Salzmarschen hinaussah. Bis jetzt war mir kein einziges Fahrzeug begegnet, und ich bezweifelte, dass es in diesem Teil des Mündungsgebiets überhaupt viel Verkehr gab. Ich fuhr in etwa nach Osten, und die Sonne blendete mich. Und obwohl ich, ohne es zu merken, auf einen Kai mit offenen Seiten hinausrollte, fuhr ich aus diesem Grund so langsam, dass ich trotzdem nicht Gefahr lief, über den Rand zu stürzen. Dennoch bremste ich sofort und nahm meine Umgebung in Augenschein. Ich befand mich auf einer Betonschürze, die groß genug für fünf oder sechs Autos war. Ich hielt es allerdings für das Beste, meines draußen an der Straße zu lassen, damit der Hubschrauber sicher landen konnte.
Ich wendete den Freelander und parkte ihn direkt neben dem Kai am Straßenrand. Wie lange würden wir unterwegs sein? Es würde möglicherweise davon abhängen, wie McGann auf das reagierte, was ich zu sagen hatte.
Sobald ich die Wagentür aufstieß, hörte ich die Schreie der Stelzvögel. Ich schlenderte zum Rand des Kais und sah mich um. Je nach Art sprenkelten Vögel einzeln oder in Trauben den flachen Küstenstreifen. Andere waren dabei aufzufliegen oder landeten gerade. Himmel und Küste wimmelten vor Vögeln. Am anderen Ende des Kais war ein mit Gras bewachsener sandiger Kamm, der zum Ufer hin langsam abfiel. Ich ging ein paar Meter daran entlang und versuchte, die verschiedenen Rufe zu unterscheiden. Eine Schar lärmender Stare, die hinter der Sandböschung in ein paar Brombeerbüschen landete, machte meine Bemühungen zunichte. Ich stand still und beobachtete, wie die Vögel sich über die Brombeeren hermachten. Dann flogen sie so plötzlich auf, wie sie gekommen waren. Gestörte Stare, versuchte ich mich aufzuheitern. Mir war nicht ganz wohl in meiner Haut. Ich hatte das Gefühl, als würde ich beobachtet.
Ich machte mich auf den Weg zurück zum Auto und hatte etwa die halbe Strecke zum Kai zurückgelegt, als ich jemanden husten hörte. Ich begann zu laufen, und im selben Moment tauchten zwei Gestalten aus den Brombeersträuchern auf, wo die Stare gewesen waren. Sie schienen etwas von der mit Gras bewachsenen Böschung mitzunehmen.
»Hallo«, ertönte eine Männerstimme. »Keine Angst, wir sind es nur.«
Ein Mann und eine Frau in grüner Allwetterkleidung standen zwischen mir und dem Kai und hielten eine Art grünes Tarnzelt in den Händen. Ich sah ein Fernglas, ein Teleskop.
»Wir wollten Sie nicht erschrecken, nicht wahr, Doris?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte die Vogelbeobachterin.
»Wie lange sind Sie schon hier?«, fragte ich, noch immer klopfenden Herzens.
»Seit vor Tagesanbruch, nicht wahr, Doris?« Es war die korrekte Antwort auf eine ziemlich dämliche Frage.
»Es war wundervoll«, sagte Doris.
Ich erkannte sie
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