Die Opferstaette
zeigte darauf.
»Gehen Sie direkt nach oben und schalten Sie das Licht dreimal ein und aus. Wenn ich Ihr Signal nicht sehe, sehen Sie Ihr Auto nie wieder.«
16
A uf dem Weg nach oben begriff ich, dass sich Kendrick ein wenig mehr Zeit erkauft hatte, indem er mich davon abhielt, ins Hotel zu stürzen und die Person am Empfang zu bitten, die Polizei zu rufen. Um mich davon zu überzeugen, dass ich recht hatte, ließ ich das Licht aus, als ich ins Zimmer kam, und schob die Tür zum Balkon auf. Von Kendricks Wagen war vor dem Hotel nichts mehr zu sehen. Ich ging zurück ins Zimmer und schaltete das Licht ein. Im selben Moment rief jemand von der Hotelrezeption an, um mir mitzuteilen, meine Wagenschlüssel seien am Empfang abgegeben worden.
Ich setzte mich einen Moment aufs Bett und rieb mir die Knöchel. Trotz seines aggressiven Verhaltens glaubte ich Kendricks Behauptung, er habe mit Sarahs Tod nichts zu tun. Und obwohl ich froh war, ihn los zu sein, hätte ich gern gewusst, was er sonst noch zu sagen hatte. Er schien zu glauben, dass der ursprüngliche Besitzer des Halsbands wusste, was Sarah zugestoßen war, oder sogar dafür verantwortlich war. Handelte es sich dabei um Jonas Zitaras?
Und was hatte es mit diesem merkwürdigen Zusammenhang zwischen Lena Morrison und Sarah Baxter auf sich, dass in beiden Fällen ein Schmuckstück auf den Klippen gefunden wurde? – War das wirklich nur Zufall?
Es erschien mir wenig sinnvoll, der Polizei etwas davon oder von meiner Begegnung mit Kendrick zu erzählen. Früher oder später würden sie ihn ohnehin kriegen.
Ich wollte gerade zu Bett gehen, als mir die Papiertasche vom Plattenladen ins Auge sprang. Ich stellte den Laptop auf den Schreibtisch und legte die CD von Gyna ein. Während ich mir das Album anhörte, sah ich einige der fossilen Websites und Geisterblogs an, die der nicht mehr existierenden Band gewidmet waren. Ich wollte sehen, was sie über Sarah Baxter sagten.
Die Fotos auf ihrer vermutlich ersten eigenen Site zeigten die vier Bandmitglieder mit extravaganten Frisuren und stark geschminkt; auf einem Gruppenfoto waren sie mit durchsichtigen, gazeartigen weißen Kleidern zu sehen, auf einem anderen in eng sitzendem schwarzem Satin mit jeder Menge Dekolleté. Die Vorsilbe Gyn , so wurde erklärt, gehe letztendlich auf ein indogermanisches Wort zurück, von dem auch »queen« stammte, und das Ziel der Gruppe sei es, »die Göttin im Lied zu feiern und so dazu beizutragen, dass ihr rechtmäßiger Platz in der westlichen Kultur wiederhergestellt wird. Und wo es Lücken in der auf die Göttin ausgerichteten Musiküberlieferung gibt, haben wir uns auf unsere Fantasie und unser musikalisches Wissen gestützt, um diesen Mangel auszugleichen.«
Während ich zuhörte und gelegentlich die Komponisten nachsah, wurde mir klar, dass es sich größtenteils um Eigenkompositionen handelte, und keine sehr guten dazu: Es war fad, uninspiriert und wenig anregend. Die Lieder waren alle einem gewissen Andrew Samwell-Wright zugeschrieben, der auch der Produzent der CD war. Ich hatte den Verdacht, Gyna war ein plumper Versuch, mit einem bestimmten Trend Kohle zu machen.
Die Gruppenmitglieder hatten jeweils ihren eigenen Blog begonnen, aber sie waren mit ihren Einträgen nicht sehr weit gekommen. Sarah beschrieb sich als »wie eine Sternschnuppe
einem patriarchalischen, männlich dominierten Universum entkommen«, in dem »die weibliche Sexualität viel zu lange unterdrückt wurde«, aber »damit wir uns nicht falsch verstehen, von Zeit zu Zeit lasse ich mich gern richtig verwöhnen«.
In dieser Art ging es weiter – forsch und schrill, und irgendwie altbacken.
Auf der Gyna-Seite gab es keine Rezensionen des Albums, aber ich entdeckte andernorts einige – größtenteils ablehnend. Dann stieß ich auf einen Artikel aus einem Online-Musikmagazin, das von Dissonanzen in der Gruppe sprach, bevor sie noch zu ihrer ersten Tour durch Großbritannien aufbrachen. »Da das Verhalten gewisser Bandmitglieder bereits einige ihrer Live-Auftritte gefährdet hat, fragt man sich, wieso die gerade dem College entschlüpften Gyna gleich auf eine anstrengende landesweite Tour geschickt werden mussten.«
Es waren Live-Auftritte aufgeführt, unter anderem bei einem sogenannten »Hexenfest«, aber eine Reihe von Konzerten war offenbar mit der Begründung abgesagt worden, dass »Sarah unpässlich« sei.
Gyna war anscheinend eingegangen, bevor die Gruppe richtig begonnen hatte.
Aber ich hatte
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