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Die Opferstaette

Die Opferstaette

Titel: Die Opferstaette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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Tier in Ihnen zum Vorschein.«
    »Ich glaube, ich sollte erklären«, sagte er mit der Miene eines Mannes, der im Begriff ist, ein dunkles Geheimnis zu enthüllen. »Sarah und ich waren Gefährten … kein Liebespaar, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    Ohne seine Brille musste Kendrick den Kopf von einer Seite zur anderen neigen, um mich scharf zu sehen – es war eine ähnliche Technik, mit der man diese beiden Kugeln in einem Plastikgehäuse in die jeweiligen Löcher kriegt.
    »Ich verstehe.« Es stimmte, auch wenn ich es nicht gänzlich verstand.
    »Jedenfalls«, begann er von neuem, »machte ich eine Bemerkung über Charlotte Brontës kurzes Leben. Dass es ihr, nach Sarahs Begriffen, ›geglückt‹ sei, jung zu sterben. Aber, sagte ich, es wäre wesentlich lustiger für Charlotte gewesen, wenn sie ihren Erfolg noch erlebt hätte; wenn sie ihr Kind hätte aufziehen können, anstatt zu sterben, bevor es zur Welt kam. Irgendwie wurde das zu einem Wendepunkt in Sarahs Leben. Tatsächlich wurden die Brontës zu einer Art Obsession für sie, vielleicht weil sie eine sonderbare Familie waren, aber
auf andere Weise als ihre eigene. Ich ermutigte sie, aufs College zurückzugehen, ihren Abschluss zu machen und einen Master über einige Aspekte der Brontës anzufügen, was sie tat – im Lauf der Zeit. Sie war oft dem Selbstmord nahe, und es gab längere Abschnitte im Krankenhaus. Aber sie hielt sich von harten Drogen fern. Sie sagte immer, falls sie sich je tötete, würde es nicht durch eine Überdosis sein. Für sie hätte es ihre Schuld irgendwie verschlimmert, wenn sie denselben Weg wie Julian gegangen wäre. Doch traurigerweise hat Heroin sie am Ende nun doch besiegt.«
    »Wollen Sie damit sagen, sie starb an einer Überdosis?«
    »Nicht direkt. Sie war seit mehr als einem Jahr clean gewesen, aber in der Nacht, in der sie starb, entdeckte ich, dass sie sich wieder etwas gespritzt hatte. Ich vermute, es ging seit dem Tag, als wir in Kilkee angekommen waren. Da hatte ich gesagt, ich wolle mich entspannen und ein wenig lesen, also war sie allein losgezogen. Ein paar Stunden später kam sie zurück und zeigte mir das Bernsteinhalsband. Als ich fragte, woher sie es habe, war ihre Antwort: ›Von jemandem, der weiß, was ich brauche.‹ Von da an waren es teils ihre Stimmungsschwankungen, teils, weil sie die Arme nicht unbedeckt ließ – außer sie war für sich, wie in der Dusche und so. Sie hatte sie in der Öffentlichkeit schon immer bedeckt gehalten, um die Narben zu verstecken, wo sie sich selbst aufgeritzt hatte, und einige Geschwüre von den Spritzen. Aber diesmal war es anders – sie verbarg sie vor mir . Wir hatten an dem Abend, bevor sie starb, früh etwas gegessen – allerdings hatte sie sowieso keinen Appetit gehabt. Aber als wir zurückkamen, wurde sie schläfrig, und nachdem sie eingeschlafen war, wühlte ich in ihrer Tasche und fand das Heroin und eine Spritze. Sie wachte auf, und ich stellte sie zur Rede. Wir stritten, und dann ging sie. Und irgendwann danach setzte sie sich ihren letzten Schuss.«

    »Aber wie kam es dann, dass sie von den Klippen gefallen ist – wenn es wirklich so war?«
    »Sie ist nicht gefallen, Illaun. Ich weiß es. Ich glaube, irgendwo in ihrem Kopf war sie zu Bertha geworden, Rochesters verrückter Frau, die in Jane Eyre von den Zinnen von Thornfield House springt.«
    Das Telefon auf dem Nachttisch läutete.
    Ich hob ab.
    »Hier ist die Rezeption. Ich wollte Sie nur erinnern, dass die Frühstückszeit bald endet.«
    »Danke, ich komme gleich runter.« Ich legte auf. Komisch, dachte ich und sah auf die Uhr – es war erst halb zehn. Aber vielleicht galten sonntags andere Zeiten. »Wie kommen Sie darauf?«, wandte ich mich wieder an Kendrick.
    »Ich sagte ja schon, dass sie mir einige SMS geschickt hat.« Er zog sein Handy aus dem Jackett. »Sie können sie selbst lesen.« Er drückte ein paar Tasten und reichte mir dann das Gerät.
    Ich bin wahnsinnig – ganz wahnsinnig: In meinen Adern fließt Feuer, und mein Herz schlägt schneller, als ich zählen kann.
    »Gehen Sie zur nächsten.«
    Indem ich jung sterbe, entfliehe ich großen Leiden.
    »Sie klingen fast … frohlockend«, sagte ich.
    Kendrick nickte mit einem traurigen Lächeln.
    »Aber warum sollte sie Selbstmordgedanken hegen, wenn sie high war?«
    »Ich glaube, sie war im Zustand eines Überschwangdeliriums. Ich weiß, das klingt viktorianisch – und wie angemessen, könnte man sagen -, aber es bedeutet, die Person wird

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