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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Ein ganzes Jahr warteten wir darauf, bis der Papierkram bei den Behörden erledigt war.
    In diesem Jahr musste sie beim Einkaufen ständig handeln. Sie stellte sich dabei überaus geschickt an. Einmal habe ich miterlebt, wie raffiniert sie vorging. Der arme Händler wäre am liebsten in einem Mauseloch verschwunden. Er war Straßenverkäufer und hockte vor dem Haupteingang des großen Basars.
    »Wie viel kostet diese Hose? Oder diese drei Hosen? Ich will sie alle für meinen Sohn«, begann Haiat und legte ihre Hand fürsorglich auf meinen Kopf.
    »Eine Hose kostet zwei Dinar.«
    »Und für ein Waisenkind?«
    »Dann die drei für nur fünf Dinar.«
    »›Aber hast du den gesehen, der das Gericht ableugnet? Erist es, der das Waise wegstößt‹, spricht Gott – Er sei gepriesen und erhaben.«
    »Wie viel wollen Sie bezahlen?«
    »Für die drei Hosen einen Dinar.«
    »Kommen Sie von einem anderen Planeten? Ich habe auch Kinder, die ich ernähren muss.«
    »Ihre Kinder haben einen guten Vater. Meins aber ist ein Waisenkind. Es hat nur noch Gott und Engel wie Sie, die bereit sind, ihm zu helfen. Und vergessen Sie nicht, was unser Gott – Er sei gepriesen und erhaben – sagt: ›Sie fragen dich, was sie spenden sollen. Sprich: Was immer ihr an Gutem spendet, das sei für die Eltern und Verwandten und die Waisen und die Armen und den Reisenden. Und was immer ihr an Gutem tut, fürwahr, Allah weiß es.‹«
    »Oh Gott! Haben Sie den Koran auswendig gelernt? Dann bitte vier Dinar.«
    »Ich habe nur einen.«
    »Dann kaufen Sie dafür eben nur eine Hose.«
    »Wollen Sie etwa, dass ihn die Kinder in der Schule auslachen, weil er immer mit derselben Hose rumläuft? Glauben Sie an Gott?«
    »Ja, natürlich!«
    »Dann kaufen Sie einen Palast im Himmel für sich und ihre Familie. Der Prophet – Gott segne ihn – sagt: ›Falls jemand nur um Allahs Wohlgefallen den Kopf eines Waisenkindes streichelt, für den gibt es für jedes Haar, das er berührt, eine Belohnung im Himmel.‹«
    Der Händler musterte das Gesicht meiner Mutter lange, sehr lange und strich sich mit der Hand über die Haare. »Dann eben zwei Dinar.«
    »Mohamed, das Siegel der Propheten – Gott segne ihn und gebe ihm Heil –, spricht …«
    »Gott segne ihn und gebe ihm Heil! Bitte genug! Nehmen Sie alle umsonst, aber lassen Sie mich um Gottes Willen in Ruhe!«
    Meine Mutter packte die drei Hosen ein, legte den Dinarauf den Boden, hielt meine Hand fest und sagte zu dem Verkäufer: »Tausend Dank, Gott belohne Sie und schütze Ihre Kinder.«

Drittes Kapitel
Qluq
1989–1990
    Fast vierhundert Jahre haben die Osmanen den Irak regiert, von 1534 bis 1920. Trotzdem ist in der irakischen Umgangssprache nicht viel Türkisch übrig geblieben, außer Tutukluluk, oder Qluq, wie man es im Irak ausspricht. Es bedeutet Gefängnis. »Was für ein interessanter Kulturaustausch«, feixte einmal ein Mitgefangener namens Dhalal.
    Das Gefängnis, in dem ich einsaß, war ein ehemaliges osmanisches Gebäude. Die Zellen lagen irgendwo unter der Erde, wie mir die anderen Gefangenen berichteten. Am Rand der Stadt, in der Nasrijah-Wüste. Ohne das kleinste Loch oder Fenster in den Wänden. Ein dunkles Qluq, trotz des schwachen Lichts der milchfarbenen Glühbirnen.
    Einige Insassen behaupteten, es gäbe drei Abteilungen: Einzelzellen für diejenigen, die sich in Untersuchungshaft befanden, und für diejenigen, die auf ihre Verhandlung warteten. Es sollte noch eine dritte geben, von der ich jedoch nicht wusste, ob sie tatsächlich existierte. Unsere Abteilung jedenfalls glich einem alten Haus. Drei Zellen auf der linken und drei auf der rechten Seite. In der Mitte ein Flur, drei Meter breit, an seinem Ende ein Klo. Ein einziger Quadratmeter mit vier Wänden, einer Tür und einem Loch in der Erde, das zur Hölle stank. Daneben ein Wasserhahn. Dem Klo gegenüber die Haupttür der Abteilung. Dahinter nur ein kleiner Vorraum. Zwei oder drei Wärter an einem niedrigen weißen Tisch. Um sieherum nichts als kahle Wände und das grelle Licht einer Glühbirne.
    Die sechs alten, nach verdorbenem Fleisch stinkenden, feuchten Zellen sahen alle gleich aus. Vier Wände und eine Tür, ein Eimer mit Wasser zum Trinken, ein weiterer für die Notdurft, weil wir das Klo nur während unseres zweistündigen Flurspaziergangs benutzen durften. Ein ramponierter Fußboden. An den Wänden alle möglichen Sprüche. Insgesamt sechzehn Quadratmeter, darin zwanzig Häftlinge zusammengepfercht. Für jeden weniger als

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