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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Untersuchungshaft sperrten ihn die Verhörpolizisten fünf Tage lang in eine Einzelzelle und ließen ihn hungern. Dann holten sie ihn ins Verhörbüro, legten einSchisch-Kebab, gegrillte Zwiebeln und Tomaten sowie ein noch dampfendes großes Stück Brot vor ihm auf den Tisch. Sie sagten, er könne das alles haben, aber nur unter der Bedingung, dass er die Namen der Mitglieder seiner Organisation nenne. Er weigerte sich. Sie folterten ihn nicht, sondern schickten ihn in die Zelle zurück. Der vierzigjährige Abu-Saluan, der vorher drei Wochen lang unter Folter keinen einzigen Namen preisgegeben hatte, konnte bei dem Gedanken an das Essen nicht mehr durchhalten. Er verlor jegliche Vernunft. Das Bild der Speisen beherrschte sein Gehirn. Der Geruch des Kebabs machte ihn wie besessen. Das frische Fladenbrot tauchte vor ihm auf, rund und flammend wie die Sonne im Sommer. Die Erde taumelte. Er konnte den Schmerz im Bauch einfach nicht mehr ertragen. Sein ganzer Körper zitterte. Er blieb nur wenige Minuten in der Zelle. Dann hämmerte er wie verrückt an die Tür und schrie, er wolle zum Verhör. Er verriet alle Namen und bekam das Essen. Später, als einige seiner Freunde festgenommen worden waren und sich mit ihm in der Zelle befanden, gingen sie heftig auf ihn los. Einer wollte ihn sogar umbringen. Da erst begriff Abu-Saluan, was er angerichtet hatte. Seitdem weinte er täglich bei jedem Gebet. Oft aß er sein Brot gar nicht selbst, sondern brach es in kleine Stücke und verteilte sie an die anderen Gefangenen. Er unterzog sich einer Art Hunger-Strafe. Einen Monat später bewegte sich Abu-Saluan morgens nicht mehr. Sein Körper war ausgetrocknet wie ein Holzscheit. Er war tot. Einfach tot.
    Obwohl Abu-Saluan starb, nachdem er seine Freunde verraten hatte, gaben auch andere Häftlinge auf und waren bereit, alles zu tun, um ein Stück Brot zu bekommen. Der dreißigjährige Abu-Zainb, Mitglied einer demokratischen Partei, wurde ein ernsthaftes Problem für die Gefangenen, nachdem er plötzlich unser Kapo geworden war. Eigentlich sah er ganz nett aus, kräftig, mit kurzen Beinen und einem kleinen Bauch. Er schien überhaupt nicht bösartig, denn er lächelte oft.
    Er überraschte uns alle am Durchsuchungstag. An einem solchen Tag, der einmal in der Woche stattfand, kamen normalerweise ein Verhörpolizist und mehrere Wärter in unseren Trakt, um nachzuforschen, ob es irgendetwas Verbotenes in den Zellen gab. Dabei wurden nicht nur wir selbst und unsere Klamotten durchsucht, sondern die ganze Zelle wurde regelrecht auf den Kopf gestellt. Sogar die Wände klopften sie nach möglichen Hohlräumen ab, in denen die Häftlinge verbotene Texte oder Gegenstände hätten verstecken können. Als der blonde Verhörpolizist fragte, ob ihm jemand etwas zu sagen habe, meldete sich Abu-Zainb. Er wollte das allerdings nicht vor uns erzählen und wurde deswegen von dem Blonden mit hinaus in den Vorraum genommen. Der stürmte kurz darauf mit dämonisch funkelnden Augen zu uns zurück. Er packte Adnan und schlug ihn ins Gesicht. Adnan fiel auf den Boden. Der Blonde brüllte ihn wütend an: »Hurensohn!«
    Dann befahl er den Wärtern, Adnan mitzunehmen. Er rief schließlich vom Flur aus zurück: »Jetzt ist Abu-Zainb euer Kapo.« Adnan wurde bestraft. Wir hörten seine Schreie, die bis in unsere Zelle drangen. Halbtot kehrte er zu uns zurück, übersät mit blauen Flecken. Er erzählte uns, die Wärter hätten kein Wort gesagt und ihn nur gefoltert.
    Abu-Zainb wurde also Kapo, und ich verlor meinen Eimer-Job. Abu-Zainb benahm sich seitdem wie ein Gott, er verwandelte unser höllisches Leben in eine noch höllischere Hölle. Er untersuchte unsere Zellen öfter als die Wärter. Und wenn er etwas Verdächtiges fand, auch wenn es nur ein Wort an der Wand war, informierte er sie sofort, was uns ständige Bestrafungen einbrachte. Mehrere Male ließ er uns einfach nicht im Flur spazieren gehen, weil ihn einer »Arschloch« genannt oder ein anderer ihn nicht freundlich genug angeschaut hatte. Wir litten drei Monate unter seinem Kommando. Manchmal dachte ich, er sei ein neuer irakischer Diktator, sitze aber nicht in Bagdad, sondern im Gefängnis von Nasrijah. Adnan meinte oft: »Wenn der Opposition solcheMenschen angehören, dann ist die Zukunft des Landes auch im Arsch!«
    Letztlich kam der Tag, an dem Abu-Zainb ins Abu-Ghraib-Gefängnis verschwinden musste. Er wurde von einem Sondergericht zu lebenslänglich verurteilt. Keiner von uns kannte seine

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