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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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spielte sich dasselbe Ritual ab. Ich stand vor dem Grab meines Vaters, aber ich hatte nie das Gefühl, er sei auch wirklich hier. Es war nur ein Stein da, worauf geschrieben stand: Muhsin Hussein Al-Saidy. Geboren am 17.2.1947. Zum Märtyrer geworden am 11.4.1981. Ich konnte nicht begreifen, dass derjenige, der hier unter der Erde lag, mein geliebter Vater sein sollte. Trotzdem weinte ich immer, weil meine Mutter weinte.
    Ich habe meine Mutter aber nicht nur zum Friedhof begleitet. Oft pilgerten wir auch zu den Moscheen im Osten und Westen des Landes. Meine Mutter bestand darauf, einmal im Monat eine Wallfahrt zu machen. Sie erklärte, wir bekämen dadurch eine gute Note im Himmel. »Bei den heiligen Gräbern, Moscheen oder Schreinen sind die Türen des Himmels geöffnet. Die Engel fliegen überall umher. Da kannst du alle deine Wünsche aussprechen. Du musst nur dein Herz öffnen, für das Licht.«
    Bei solch einer Gelegenheit wünschte ich mir einmal vom Imam Al-Kadhum in Bagdad, er möge doch bitte meinen Vater zu uns zurückbringen, damit meine Mutter nicht mehr so weinen müsse. Ich betete in seiner großen, sauberen Moschee, genau gegenüber seinem Grab mit den goldenen Fenstern. Fast eine Stunde lang. Dann warf ich einen Dinar neben sein Grab und gelobte, ihm einen großen Hahn zu opfern, wenn er meinen Wunsch erfüllte. Wochenlang wartete ich geduldig und hoffnungsvoll. Schließlich wurde ich sauer auf Imam Al-Kadhum. Doch das rührte ihn keineswegs.Stattdessen schickte er mir im Traum einen Mann, der mir mitteilte, so eine Verwandlung funktioniere nicht. Mein Vater sei tot, und ein lebloser Mann könne nicht zurückkehren. Ich antwortete, wenn er meinen Wunsch nicht erfülle, dann wolle ich meinen Dinar wiederhaben. Aber der Traummann meinte, auch das sei unmöglich. Seitdem verlange ich nichts mehr von Al-Kadhum oder einem anderen Imam. Und ich habe bei Gott geschworen, in meinem ganzen Leben keine einzige Münze mehr für einen von ihnen zu spenden oder gar einen Hahn zu opfern.

    Ich weiß nicht genau, was für ein Mensch mein Vater gewesen ist. Ich kannte ihn nicht gut genug, um ihn wirklich beschreiben zu können. Ich weiß nur, dass er ein guter Ehemann gewesen sein muss. Die Nachbarn haben ihn ebenfalls gemocht, zumindest behaupteten das alle.
    Meine Mutter dagegen kannte ich ziemlich gut. Sie wurde vom Tod verfolgt. Sehr früh verlor sie ihre Eltern. Dann die Tante Malika, die sich nach dem Tod der Eltern um sie kümmerte. Und nun hatte der Tod ihr auch noch den Ehemann genommen.
    Doch selbst nach Muhsins Tod verlor sie ihr Lächeln nicht ganz und versuchte unser Leben auf den richtigen Pfad zu lenken. Sie arbeitete den ganzen Tag im Geschäft und half mir bei meinen Schulaufgaben, obwohl sie nicht so besonders gut lesen und schreiben konnte.
    Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie bei ihrer Tante Malika gelebt, einer alten einsamen Frau, die eigentlich nur eine Freundin und Nachbarin der Familie war. Damals war meine Mutter dreizehn Jahre alt, und Tante Malika dachte nicht daran, das Mädchen noch einmal in die Schule zu schicken. Sie war nur darauf bedacht, es großzuziehen und möglichst schnell heiraten zu lassen. Malika kümmerte sich gut um sie und freute sich, als ein Mann um Haiats Hand anhielt. Diealte Tante schien froh, sie an den Mann gebracht zu haben, bevor auch sie sich von der Welt verabschiedete.
    Inzwischen hatte meine Mutter in Babylon also nur noch mich. Ich half ihr im Geschäft. Kochte sogar für sie, wenn sie krank war. Das konnte ich zwar nicht besonders gut, dennoch freute sie sich jedes Mal, wenn ich es tat, und behauptete, meine Gerichte seien die leckersten, die sie je gegessen habe. Dann lachte sie und ergänzte, ich sei wie mein Vater. »Lieb bis zur Harmlosigkeit.«
    Nach dem Tod meines Vaters konnte ich von meiner Mutter alles haben. Ich bekam reichlich Taschengeld, fast hundert Fils pro Tag. Das reichte allemal für eine Tüte Sonnenblumenkerne, ein Getränk und ein Kichererbsen-Sandwich aus dem Schulkiosk und abends noch für einen leckeren Bissen aus den Läden im Stadtzentrum. Zu jedem Fest habe ich zusätzlich bis zu zwei Dinare von ihr bekommen. Auch Kleider hatte ich mehr als genug. Obwohl sie alle vom Flohmarkt stammten, waren sie stets in Ordnung. Sogar im ersten Jahr nach Vaters Tod sorgte meine Mutter dafür, dass ich immer anständig angezogen war, obwohl sie damals nicht viel Geld hatte, weil wir die staatliche Entschädigung nicht so schnell erhalten hatten.

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