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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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kein schwarzes Haar mehr am ganzen Körper, alles grau. Sogar seine Haut glänzte wie schmutziger Schnee. Nur die Augen waren immer noch schwarz und versteckten sich hinter einer großen braunen Hornbrille. Wir wurden schnell Freunde, weil wir beide und noch ein anderer Gefangener namens Dhalal die Einzigen in der Zelle waren, die die Ritualgebete nicht vollzogen. Alle anderen standen jeden Morgen, Mittag, Nachmittag, Abend und jede Nacht zur selben Zeit beisammen, um die täglichen Gebete zu verrichten. Dabei wandten sie sich Richtung Mekka, gesteuertvon Ahmed, dem Gebetsrufer der Zellen, der eine besonders ausdrucksvolle Stimme besaß. Wenn ich Ahmeds Stimme hörte, dachte ich, dass die Wörter geradezu aus der Tiefe seiner Seele heraufdrängten. Adnan, Dhalal und ich ignorierten die Gebetszeiten. Wir blieben in einer Ecke sitzen und beobachteten die anderen, bis die Abschlussformel gesprochen wurde: »Salamu Aleikum wa Rahmatullah – Friede sei mit Euch und die Gnade Gottes.«
    Adnan war der Kapo, der Boss sozusagen, verantwortlich für seine Mitgefangenen in Bezug auf Essensausgabe, Disziplin und Organisation der Abteilung. Für diese Aufgabe bekam er zwei Brotfladen zusätzlich am Tag. Im Gegensatz zu Adnan stand jedem von uns nur ein Fladen täglich zu. Das Essen kam immer nachmittags, und er musste es nur aufteilen, die Türen der Zellen für zwei Stunden öffnen, damit die Gefangenen sich im Flur die Beine vertreten konnten, hinterher wieder zuschließen und die Schlüssel dem Wärter zurückgeben. Außerdem musste er die Kloeimer leeren und die anderen mit Wasser füllen. Diese Aufgabe erledigte er aber nicht selbst, sondern bestimmte aus jeder Zelle den Jüngsten dafür. In meiner Zelle war ich das. Als Lohn gab er mir täglich einen viertel Fladen. Jeder meiner Zellengenossen hätte diese Arbeit nur zu gern verrichtet, um das Stück Brot zu bekommen.
    Der Hunger kennt keine Gnade, sagte mir Adnan, er ist ein herzloses Ding, das man hier täglich umarmt. Am Anfang, als ich noch keine Ahnung hatte, wie man sich im Gefängnisalltag durchschlägt, aß ich meinen Brotfladen auf einmal und blieb dann den ganzen Tag ohne Essen. Ich musste richtig hungern. Die erfahrenen Häftlinge dagegen teilten sich das Brot für drei Mahlzeiten ein. Jeder brach sein Brot in drei Teile und jeden Teil noch einmal in kleine Brocken, wie Hühnerfutter. Das wurde dann in einer kleinen Plastiktüte aufbewahrt, die wir mit dem Brot von den Wärtern bekamen. Die kleinen Brocken musste man trocknen lassen, um später einen richtigen Bissen zwischen den Zähnenzu spüren. Es dauerte lange, bis ich mich an dieses Vorgehen gewöhnte. Ich nahm eine kleine Brotkugel und ließ sie langsam auf meiner Zunge zergehen. Mit viel Wasser, um das Gefühl des Sattseins zu verstärken. Im Laufe der Zeit und des Hungers wurde mein Körper schwach. Wir sahen alle abgemagert und blass aus, wie Vogelscheuchen.
    Jeden Tag wartete ich sehnsüchtig auf das Brot. In Wahrheit tat ich nichts anderes. Die Stunden krochen dahin, langsam wie eine Schildkröte. Der Hunger wurde messerscharf, Gaumen, Zunge und Kehle brannten, alles brannte. Und wenn das Brot kam, freute ich mich und schaute es zufrieden an, als wäre das alles, was ich mir wünschen konnte. Ich vergaß sogar nach einigen Monaten meinen Traum von der Entlassung und träumte nur noch von einer üppigen Mahlzeit. Es waren schöne Träume, die in Albträumen endeten: Gemüse, Obst, Brot, Getreide, rotes und weißes Fleisch, Säfte und Süßigkeiten fielen mich fast in jeder Nacht an. Sie spielten mit mir, wie man mit einem Ball spielt. Das Obst warf mich zum Brot und das Brot zu anderen Köstlichkeiten, bis ich in einem Teller voller Suppe landete. Ich badete darin. Versank. Der Duft des gekochten Basmati-Reises holte mich aus der Tiefe der sämigen Suppe heraus, umklammerte mich wie ein Monster und presste mich zusammen, bis ich in Ohnmacht fiel. Einmal träumte ich, meine Haare seien Spaghetti, und ich lutschte meine Spaghetti-Haare genüsslich ab, eines nach dem anderen.
    Der Hunger war für uns schlimmer als jede Naturkatastrophe. Schlimmer als die Folter. Seinetwegen verloren viele nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Moral. Wie Abu-Saluan, der für Essen fast dreißig seiner Parteifreunde verraten hat. Er war der Führer einer schiitischen Splitterpartei. Eigentlich hatte er in Nadschaf Religionswissenschaft studiert, war überzeugt von dem, was er glaubte und tat. Während der

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