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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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ein Quadratmeter Platz. Ich war in der Mittelzelle, auf der linken Seite.
    Am ersten Tag wollten alle Gefangenen mit mir reden. Jeder versuchte von mir zu erfahren, weswegen ich hier war und was draußen vorging. Ob die Welt immer noch dieselbe war wie diejenige, die sie von früher kannten. Ich wollte aber nicht viel reden, lieber nur dahocken, den Raum und die Gesichter anschauen und von meiner Entlassung träumen. Oder die Augen schließen, um nach Hause zu fliegen. So redete ich nicht viel und beendete alle Gespräche mit dem Satz: »Ich werde bald entlassen.« Sie grinsten alle. Einer schüttelte skeptisch den Kopf: »Darauf warte ich schon seit Jahren!«
    Aber mein Schweigen war eigentlich Ausdruck der Trauer. Auch wegen Ali. Das letzte, was ich über ihn gehört habe, erzählte mir einer meiner Zellengenossen, Said. Er kannte Ali näher, weil er einer seiner Parteigenossen war. Im Verhörraum musste Said Alis Ende miterleben. »Ali ist in den Himmel aufgestiegen«, meinte Said. »Er konnte nicht mehr richtig atmen. Nur noch stöhnen. Sein völlig geschwächter Körper schaukelte an der Decke. Zuvor haben sie uns drei Tage lang in einer Zelle hungern lassen und dann mit Strom gequält. Die verhörenden Polizisten wollten mehr Namen von Parteimitgliedern. Zuletzt hat mir einer von ihnen die Augenbinde abgenommen und angefangen, Ali mit dem Stock zu schlagen, damit ich dabei zuschaue, schwach werde und alles verrate. Ali bewegte sich wie jemand, der voneiner Schlange gebissen worden ist. Stöhnte noch einmal, und dann kam nichts mehr. Als die Schergen ihn vom Haken holten, war er bereits im Jenseits.«
    Ich weinte tagelang über Alis Tod. Habe sogar gebetet und Gott mehrere Male gefragt, welchen Sinn dieses Elend haben sollte.
    Allah sieht, was in der Nacht auf dem Land und auf See geschieht
.
    Nichts auf Erden und in den Himmeln bleibt Ihm verborgen!
    Oh Allah, sende uns Deine Gnade!
    Aber Gott schwieg, und Ali kam nicht aus dem Folterreich zurück.
    Was hatte Ali getan? Er war plötzlich eine Legende geworden. Jeder behauptete irgendetwas anderes über ihn. Für mich war das alles unvorstellbar. Ich verstand überhaupt nicht, worum es ging. Während der Untersuchungshaft wusste ich nicht einmal, welche Anklage gegen mich bzw. ihn erhoben worden war. Oder bei welcher Partei Ali gewesen sein sollte. Ich wusste gar nichts. Außer, dass wir in politischer Haft waren. Im Verhörraum erfuhr ich später von einem Polizisten, ich hätte einige Mitglieder der Kommunistischen Partei gekannt, ohne davon zu wissen. In der Gefängniszelle erfuhr ich von einem Gefangenen, Ali sei bei der Kommunistischen Arbeiterpartei gewesen. Bei den Kommunisten oder bei den Kommunistischen Arbeitern war ich definitiv nicht. Ich hatte nicht einmal von ihrer Existenz gewusst. Said dagegen behauptete, Ali sei in der Islamischen Dawa-Partei gewesen, habe aber auch Kontakte zu anderen Parteien gehabt. Ich konnte mir das wirklich nicht vorstellen. Ali politisch aktiv? Er war mein bester Freund. Wie hatte er es fertig gebracht, mir nichts davon zu erzählen? So viel sollte er verbrochen haben, und ich hatte nicht das Geringste davon mitgekriegt?
    Es gab noch andere Geschichten über Ali. Man erzählte,er habe Autos gestohlen und zur iranischen Grenze gebracht, um sie Partisanen, die in den Palmwäldern des Al-Ahoaz-Gebiets Unterschlupf gefunden hatten, billig zu verkaufen. Ob er das aus Überzeugung gemacht hat oder nur des Geldes wegen, wusste keiner so genau. Einer behauptete, Ali sei ein Sklave Gottes gewesen. Mir wurde er plötzlich ganz fremd.
    Als ich erfuhr, dass meine Verhaftung nur auf einem Missverständnis beruhte, war Ali noch am Leben. Er hatte mich durch seine Aussage gerettet. Es gab keine Anklage mehr gegen mich. Der Grauhaarige bestätigte mir meine Unschuld, er müsse mich aber trotzdem im Gefängnis lassen, bis die »Akte der Angelegenheit der Organisation« geschlossen sei. »Es geht um Sicherheitsmaßnahmen«, tat er sich wichtig. Meine Untersuchungshaft dauerte nur einige Tage. Ich hätte Glück gehabt, sagten meine Zellengenossen. Einige von ihnen hatten bleibende Schäden zurückbehalten, wegen des langen Aufhängens.
    Täglich wartete ich darauf, dass endlich einer käme und »Verschwinde!« zu mir sagte. Aber keiner kam.

    Ich war der Jüngste unter den Gefangenen. Der Älteste von ihnen hieß Adnan und war vielleicht 60 Jahre alt. Die Zeit hatte ihm viele Falten ins Gesicht gegraben, die wie Narben aussahen. Er hatte

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