Die Orangen des Präsidenten
kräftige, saftige Blutorangen.
Am Tag der Orangen, als die Erkenntnis auch den letzten getroffen hatte, brach die Hölle los. Wir gebärdeten uns wie wilde Tiere. Einige rissen sich an den Haaren, schrien, heultenoder schlugen ihre Hände gegen die Wand, einer krümmte sich wie unter Krämpfen auf dem Boden, unsere schwachen Hände und Arme griffen zu, um die Wärter zu packen. Diese schlugen mit ihren Schlagstöcken nach uns, und schon nach wenigen Sekunden war unsere Kraft aufgebraucht, da wir körperlich zu schwach waren, um den unbändigen Hass, die unbändige Enttäuschung in unserem Inneren noch ausleben zu können. Ich taumelte und sackte in mich zusammen wie ein nasses Wäschebündel.
So sehr ich auch durch meinen ausgezehrten Körper gezwungen war, reglos zu liegen, so wild tobte mein Geist: Ich wollte Saddam, dieses Mistschwein, diesen Sohn einer trächtigen Flussratte, foltern, seine Haut langsam aufschneiden und Zentimeter für Zentimeter vom Körper ziehen, um sein verdorbenes Inneres und das Fehlen seines Herzens mit eigenen Augen zu sehen. Ich würde sein Gesicht zu Brei schlagen, ihm jeden Knochen in seinem dämonischen Leib brechen und ihn schließlich in ein Säurebad schmeißen, und zusehen, wie er sich langsam unter Qualen auflöste und ein für alle Mal von diesem Planeten verschwand, sodass keine Leiche, keine körperliche Spur von ihm übrig bliebe. Doch nicht einmal diese Grausamkeiten erschienen mir ausreichend; ich spürte, dass mein Geist nicht fähig war, dem Ausmaß von Saddams Sünden eine entsprechende Strafe entgegenzusetzen. Sie überstiegen meine Vorstellungskraft. Wahrscheinlich müsste man seinem eigenen kranken Gehirn die tödliche Medizin entnehmen, die man ihm verabreichen müsste, wenn es gerecht in der Welt zuginge. Auch seine Getreuen waren vor meinem unheiligen Zorn nicht sicher. Jede dieser Ameisen, jede dieser durch Saddams Propaganda programmierten Foltermaschinen würde ich quälen, indem ich in Gestalt eines unsichtbaren Dämons in ihren Häusern spukte, ihre Frauen, ihre Mütter, ihre Töchter vergewaltigen und schwängern würde, damit diese Arschlöcher ihr ganzes Leben lang mein Gesicht anschauen müssten, in allen zukünftigen Kindern der Familie. Ich würde einen immerwährendenFluch über sie aussprechen, der sie und ihre Ahnen bis in alle Ewigkeit verfolgte!
Mir dies eine Weile lang auszumalen, beruhigte mich ein wenig. Andererseits erschrak ich über mich selbst. Ich kannte mich als friedfertigen Menschen, der früher höchstens mal daran gedacht hatte, jemanden ordentlich zu verprügeln, jemanden, der mich, wie damals einige der starken Jungs in der Schule, zuerst und grundlos angegriffen hatte. Doch jemanden töten wollen? Es so klar vor sich zu sehen, als sei es die Wirklichkeit, und tiefe Befriedigung dabei zu empfinden? So weit hatten sie mich gebracht; ich war geistig bereits zu dem geworden, das ich am meisten verachtete.
Die Rachegelüste beherrschten nicht nur mich, sondern hatten praktisch jeden von uns befallen, wie eine Krankheit, die seit Monaten in uns geschlummert hatte und nun plötzlich und gewaltig ausgebrochen war. Ich will nichts damit zu tun haben, verdammt noch mal, rief ich mich selbst zur Besinnung. Ich hatte früher nur meine Tauben und mein einfaches Leben gehabt und war vollkommen glücklich damit gewesen. Aber wie sollte ich den guten Engel in mir bewahren, wenn alle um mich herum, die Polizisten, Wärter und sogar meine Mitgefangenen, die Dämonen in mir weckten?
Manchmal bekam ich Angst vor mir und um mich selbst. Wenn einer von uns starb, wenn ich sehr hungrig wurde, wenn ich nicht mehr schlafen konnte, wenn die Wanzen meinen Körper nicht in Ruhe ließen, oder wenn die Wärter wieder einmal Karate an meinem Gesicht trainierten … Manchmal beherrschte mich die Wut sehr lange, wie in den Wochen nach dem verhängnisvollen Tag, den man Umerziehungstag nannte:
Ein oder zwei Mal im Monat kam ein Offizier zu uns, der uns auf eine besondere Art und Weise disziplinierte. Einmal mussten wir im Flur auf dem Boden entlang von der Haupttür bis ans gegenüberliegende Ende des Flures robben. Die Uniformierten stiegen auf die Rücken der Häftlinge, sprangen auf ihnen herum und johlten: »Ihr seid Schafe, und wirsind die Wölfe!« Die Häftlinge quälten sich langsam und fast zu Tode gequetscht weiter, während die Soldaten so taten, als würden sie lästiges Ungeziefer zertreten: »Los, weiter, ihr Würmer!« Wer jedoch nicht mehr
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