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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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der Heiligen!
    Oh Erster der Ersten und Letzter der Letzten
.
    Oh Gott, vergib mir die Sünden, die die schützenden
Verhüllungen zerreißen!
    Oh Gott, vergib mir die Sünden, die Strafen nach sich ziehen!
    Oh Gott, vergib mir die Sünden, die Bittgebete zurückhalten!
    Oh Gott, vergib mir die Sünden, die Hoffnungen zerschlagen!
    Oh Gott, vergib mir die Sünden, die Drangsal nach sich ziehen!
    Oh Gott, vergib mir jede Sünde, die ich begangen, und jeden Fehler, den ich gemacht habe!
    Als er aufgehört hatte, reichte er mir seine Hand. »Gott segne dich!«, sprach er theatralisch. Er stand auf, schaute alle an und befahl salbungsvoll: »Meine Brüder. Nun begrüßen wir unseren verborgenen Imam, der endlich nicht mehr verborgen ist: Imam Al-Mahdi.« Er zeigte mit der Hand aufmich. Dann kniete er vor mir nieder, legte sich meine linke Hand an den Kopf, nahm meine rechte Hand mit seiner Rechten und küsste sie. Schließlich drehte er sich zu den anderen um und sagte spöttisch: »Bitteschön!«
    Die Wärter griffen blitzartig zu den Stöcken und begannen auf die Gefangenen einzuschlagen. »Los! Küsst die Hand von Al-Mahdi!« Einer nach dem anderen legte sich meine vor Abscheu starre Hand an den Kopf, verbeugte sich vor mir und küsste meine Rechte. Die Wärter schlugen jeden, der zögerte oder sich weigerte. Als alle meine Hand geküsst hatten und weinend wieder in die Zellen gegangen waren, quollen auch mir bittere Tränen aus den Augen. Der Offizier, aus dessen fratzenhaftem Antlitz jeder Anschein von Schönheit und Jugend verschwunden war, wandte sich zynisch an mich: »Seine Heiligkeit kann nun in die Zelle gehen«, und schüttelte sich wie ein Pferd vor Lachen.

Achtes Kapitel
Baum der Gemeinheit
1989
    Im Al-Schajara-Al-Chabitha – Baum der Gemeinheit – war ich gelandet, so nannte man Nasrijah. Jeder Iraker kannte unendlich viele Witze über diese Stadt, deren Einwohner darin als gemein hingestellt wurden. Die Kinder des Baums der Gemeinheit behaupteten aber, diese Witze seien vom irakischen Geheimdienst verbreitet worden, weil stets viele Leute aus Nasrijah gegen die Mächtigen gewesen seien, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Auch der Dichter Al-Habubi war einer dieser Unruhestifter, dessen vollbärtiges Gesicht ich täglich sah.
    Er blickte ernst, seine Gesichtszüge waren völlig bewegungslos, weil er aus Stein und Metall bestand. Noch zu Beginndes 20. Jahrhunderts hatte er sich dann doch bewegt, und das nicht, indem er Gedichte schrieb, sondern indem er mit seinem Schwert gegen die britische Besatzung kämpfte, chancenlos gegen moderne Waffen. Nach der Niederlage der nach ihm benannten Befreiungsbewegung starb er vermutlich an gebrochenem Herzen.
    Nicht weit entfernt von der Al-Habubi-Statue im Zentrum von Nasrijah lag das alte, zweistöckige Haus meines Onkels. Auch wenn es zum Zentrum gehörte, lag es dennoch hinter der prächtigen Fassade der Straße: alte, fast zerstörte Häuser, staubige Erde, rissige Asphaltstraßen, schmutzige Wasserpfützen, Tauben, Katzen, Schafe, Hühner überall. Und arme Familien, die dort wohnten. Die wichtigen Gebäude der Stadt sahen anders aus, sauber und wohlgeordnet um die Al-Habubi-Statue herum: Cafés, Gaststätten, Imbissbuden, Hotels, Geschäfte und Autos ohne Ende.
    Mein Onkel Jasim verkaufte die Wohnung meiner Eltern in Babylon und baute ein Zimmer für mich auf dem Dach seines Hauses. Er legte das übrige Geld aus dem Erbe meiner Mutter angeblich für mich auf die Seite, wovon ich aber niemals wieder etwas zu Gesicht bekam. Ich weiß genau, wofür er das Geld rausgeschmissen hat. Man sagt nämlich: »Wenn ein Südiraker Geld hat, dann heiratet er entweder eine zweite Frau oder kauft sich eine Pistole.« Mein Onkel war besessen von beidem, von Frauen und Pistolen. Er heiratete heimlich ein ägyptisches Mädchen, das wesentlich jünger war als er, eine Tänzerin in einem Nachtklub der Stadt. Und er kaufte auch eine amerikanische Pistole. Das restliche Geld ließ er für Alkohol und Wettspiele in Klubs.
    Es war wirklich nicht besonders reizvoll, bei meinem Onkel zu wohnen. Wären da nicht seine drei Kinder, hätte ich die Stadt bestimmt gleich wieder verlassen und wäre irgendwohin gegangen. Die Kinder, der Junge und die beiden Mädchen, betrachteten mich als ihren älteren Bruder. Jedes rannte zu mir, wenn ihm irgendetwas zustieß, als wäre ich sein Schutzengel. Auch die Ehefrau meines Onkels behandeltemich wie ihren eigenen Sohn. Ich fragte mich oft,

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