Die Orangen des Präsidenten
LATERNEN
Eine Mauer wie die südlichen Wälder
,
wie die Einsamkeit einer Stadt nach dem Krieg
,
wie eine lange Reihe von Bergen aus messerscharfem Stein
.
Entschuldige, wie war die Mauer, mein Sohn?!
War sie feuchte Sprache, feuchter Teppich
,
Feuchtigkeit des Lebens, das am Deckenventilator hängt?
Entschuldige, feucht war das Herz vom Wasser der Gespenster
.
Feucht war die Welt
.
Entschuldige, mein Sohn, feuchte Männer kamen um Mitternacht
,
Sie kamen von hinten
,
geboren aus der Mündung einer Waffe
,
Sand der Wüste, der zum Herzen der Stadt aufsteigt
.
Entschuldige, sie waren, wie sie waren
.
Und das war die Zeit
.
O welche Zeit!
Und welche Pein!
Zittern war das Leben
,
Wind waren die Kabel und Stöcke
,
Werkzeuge und elektrische Zangen waren auf dem Rücken
,
entschuldige, um den Penis
,
zwischen den Fingern
,
auf der Haut …
unter der Haut
.
Was für ein Leben war das, das sich an die Ecke der Gefängniszelle
und den Boden klammerte?
Entschuldige, an die Hose des Gefängniswärters
,
an die Schuhe des Verhörpolizisten
,
an die Laus des Gottes
.
Entschuldige, mein Sohn, die Erde stand auf den Hörnern des Generals
,
wie ein Schlag ins Gesicht, kreisförmig
.
Männer suchten in den Knochen nach einem flüchtigen Fenster
,
nach einer Landkarte der Stadt im Körper
,
nach den Wegen der Seele im Fleisch
,
nach Kindern, die unter dem Regen spielen
.
Entschuldige, ich habe alles gesagt
.
Es war so, ich musste es zugeben
.
Und nun gebe ich es zu, alles was übrig ist:
Meine Mutter begreift den Krieg nicht
und wir sind das Leben der Laternen
,
die die Generäle mit einem Stein
auslöschten
.
Shruqs Tod hatte alle meine Hoffnungen zerstört. Er hatte immer gern gelacht, obwohl er ein sehr ernster Mensch war. Nach seinem Tod wünschte ich mir nur noch, ebenfalls sterben zu können. Wie Ahmed einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Oder mutig zu sein wie Shruq. Es dauerte lange, bis die Wunden, die Shruqs Tod aufgerissen hatte, allmählich verheilt waren. Jedes Mal brach eine Wunde auf, wenn eine andere verheilt war. Viele Gefangene starben unter der Folter und am Hunger. Einige wenige haben sich selbst umgebracht. Ich musste das immer mit anschauen und fragte mich, wann ich an die Reihe käme!
Doch eines Tages geschah etwas, das alles ändern sollte. Es war in der Nacht, als wir plötzlich Explosionen, das Einschlagen von Raketen und Geschossen hörten. Die Mauern des Gefängnisses erzitterten. Dann plötzlich Stromausfall! Der Krach dauerte die ganze Nacht. Da brachte Adnan die Nachricht, dass der Irak Kuwait schon vor Monaten erobert habe. Und nun seien die USA und viele andere Länder in die arabische Wüste gekommen, um Kuwait zu befreien.
Der Golfkrieg hatte begonnen.
Zehntes Kapitel
Flügel
1989
Im Taubencafé, dessen Einrichtung nur aus ein paar Stühlen, drei Tischen, einem kleinen Taubenschlag und einer winzigen Küche mit Gasherd und Teekocher bestand, trafen sich die wichtigsten Taubenzüchter der Stadt. Von Anfang an bemerkte ich, wie alle Sami mit unendlichem Respekt begegneten. Er soll früher ein Rätsel gelöst haben, das keiner der Taubenzüchter durchschaut hatte.
Mein lieber Mahdi, das war in den achtziger Jahren. Ein Jahr nach dem Beginn des Iran-Krieges, 1981, stellten die Taubenzüchter fest, dass ihre Tauben sich immer seltsamer benahmen. Sie waren plötzlich außerordentlich wild und stritten ohne Grund miteinander. Sie saßen auf den Dächern und zitterten, als erschüttere ein Orkan oder ein Erdbeben die Häuser. Keiner hatte auch nur die leiseste Ahnung, wieso sie sich so verhielten. Eigentlich sind Tauben doch ruhige und ausgeglichene Wesen
.
Nun aber hatten sie sich vollkommen verändert. Natürlich waren die Tauben nicht zornig auf die Menschen wegen des Krieges. Das gibt es nur in Märchen und Zeichentrickserien. Es musste etwas anderes dahinterstecken
.
Ich habe sie täglich beobachtet. Die Taubenzüchter berichteten über ungewöhnlich hohe Verluste unter ihren Tauben. Immer wieder kam einer und klagte, er habe eine Taube oder gar mehrere verloren, oft zuverlässige Tiere, die ihrem eigenen Dach treu waren. Einige berichteten, ihre Tauben wollten abends nicht in den Käfig. Sie blieben auf der Dachmauer und wurden von Katzen gejagt oder gefressen. Oder sie verflogen sich im Dunkeln und tauchten nie wieder auf
.
Derlei Merkwürdigkeiten habe ich auch bei meinen eigenen Tauben erlebt. Ich saß täglich bei ihnen auf dem Dach. Jede neue
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