Die Orangen des Präsidenten
eine Sicherheitsnadel und fixiert einen Flügel, wodurch man die Bewegungsfähigkeit der Hand- und Armschwingen unterbindet. Solange sie das neue Heim noch nicht kennen, versuchen sie nämlich wegzufliegen, um zu ihrem alten Heim zurückzukehren. Und wenn sie wegfliegen, können sie nicht zu ihrem neuen Schlag zurückkehren, weil sie den Weg nicht finden. Also muss man sie fesseln
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Die zweite Phase ist die Flugphase. Wenn man merkt, dass die Tauben nicht mehr aufgeregt sind, sich gut auf dem Dach auskennen und ihren Platz im Käfig haben, befreit man sie von ihren Fesseln. Dabei muss man auf die Jahreszeit achten. Am besten eignet sich ein Sommermittag. Die Tauben fliegen in dieser Zeit nicht weit weg. Sie kreisen nah über dem Haus, weil es heiß ist und sie schnell Durst und Hunger bekommen. Sehr schlecht ist der Herbst, wegen des starken Windes, der die Tauben weit mitnimmt. Auch der Winter ist problematisch. Wegen der Kälte bekommen die Tauben kaum Durst. Der Frühling ist auch nicht gut, weil das Wetter wechselhaft ist
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Außerdem muss man Nistzellen im Zuchtschlag bauen, damit die älteren Tauben Eier legen und brüten. So werden sie träger und schwerer und fliegen nicht zu hoch oder zu weit weg. Auch lassen die Männchen ihr Weibchen in dieser Situation nicht allein. Sie wechseln sich mit den Weibchen beim Brüten ab. Sie fliegen mit den anderen Tauben, bleiben aber über dem Haus. Man muss immer einige weibliche Tauben auf die Dachmauer legen, deren Flügel gefesselt oder gestutzt worden sind, und ihre Männchen mit der Gruppe fliegen lassen. Die anderen Tauben bemerken das und bleiben über ihnen. Die Tauben haben nämlich gute Augen
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Man verliert immer ein paar Tauben in der ersten Woche der Flugphase. Einige fliegen einfach zu weit weg und finden den Rückweg nicht mehr. Das ist normal. Nach einigen Wochen beginnt dann die Weit-fort-Variante. Dazu erschreckt man die Gruppe mit einem Stock oder einem schwarzen Tuch. So fliegen sie schnell hoch
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Im sechsten oder siebten Lebensmonat kommt die Pubertätsoder Paarungsphase. Jetzt verliert man viele Tiere, wenn man nicht aufpasst. Die Geschlechtsreife tritt ein. Die Balz des Täubers erkennt man am Aufplustern, Gurren und Vor-dem-Weibchen-Herumstolzieren, am Einkreisen der Täubin und am Halsnicken. Einige Tauben finden schnell einen Partner. Die Mehrheit schafft das aber nicht, und das ist ein Problem. Wenn eine Taube in ihrer Gruppe keinen Partner findet, sucht sie einen bei den anderen Gruppen. Also muss man einen Partner für sie finden, indem man eine Hochzeits-Nistzelle einrichtet. Man nimmt einen Täuber und eine Täubin und sperrt die beiden die ganze Nacht in eine Nistzelle. Wenn der Täuber am Morgen auf die Täubin steigt, ist die Gefahr vorbei. Wenn nicht, muss man einen neuen Partner suchen und beide eine Nacht zusammensperren
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Am Anfang dachte ich, ich würde niemals lernen, mit den Tauben umzugehen. Aber Sami spornte mich an: »Übung macht den Meister.« Und so übte und übte ich, und Sami war mein Meister. Er war mit mir zufrieden und schenktemir sogar mehrere Tauben. Von seinem Dach aus ließ ich sie fliegen und schaute zu, wie sie am Himmel tanzten. Und manchmal dachte ich, mein Kopf, mein Herz und meine Seele tanzten mit ihnen. Ich konnte sehr gut nachvollziehen, wieso Ikaros und Abbas Bin Firnas unbedingt fliegen wollten. Ich fragte mich oft, ob sie es kurz vor der Abenddämmerung versucht hatten. Diese Zeit hatte nämlich etwas Magisches. Ich liebte diese Zeit, um meine Tauben fliegen zu lassen und sie zu betrachten.
Alle Taubenzüchter ließen um diese Zeit ihre Tauben noch einmal fliegen. Wenn es dann dunkel wurde, mussten die Vögel in den Taubenschlag. Der Himmel sah dann zauberhaft aus. Mit den vielen Taubenschwärmen stieg schwarzer Rauch aus den Schornsteinen. Die Frauen buken immer zur selben Zeit Brot in ihren Steinöfen. Die Farben der Tauben, die Röte des Himmels und der schwarze Rauch, der sich in Grau auflöste, malten ein unbeschreibliches Bild über die Stadt. Ein fast magischer Moment. Sami behauptete, ein solches Gemälde könne man nirgendwo in der Welt finden außer im Südirak.
Hamida und Jasim waren wütend auf mich. Nicht etwa, weil ich, seit ich Sami kannte, kaum mehr bei ihnen zu Hause war, sondern weil ich nichts anderes im Sinn hatte, als mich mit meinen Tauben zu beschäftigen. Für sie war das eine Schande. Taubenzüchter genossen keinen guten Ruf.
»Der Prophet sagt: ›Taubenzüchter werden das
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