Die Orangen des Präsidenten
Paradies niemals sehen‹«, behauptete Hamida.
»Wie kommst du denn darauf? Wer hat dir denn so was erzählt?«
»Der Gebetsrufer. Er hat gesagt, dass die Taubenzucht eine Sünde ist. Die Menschen, die sich mit Tauben beschäftigen, verlieben sich in sie und dadurch vergessen sie ihre Mitmenschen und sogar ihren Gott.«
Ich wollte es nicht glauben. Doch als ich Sami und seinen Freund Razaq danach fragte, gaben sie mir ein paar Bücher: »Schau selber nach!«
Hamida und Jasim hatten in der Tat recht. Ich fand mehrere historische Texte, die eine sehr schlechte Meinung über Tauben und Taubenzüchter belegten. Fast alle stammten aus dem Mittelalter und aus Bagdad. Damals waren viele der dortigen Bewohner Taubenzüchter, und die Taubenzucht war offenbar ein religiöses Problem geworden. Deshalb versuchten einige islamische Schulen, eine religiöse Vorschrift zu finden, die das Züchten von Tauben verbot. Die Aussage eines Taubenzüchters vor Gericht soll sogar ungültig gewesen sein. Der Prophet hatte angeblich erklärt: »Das Zeugnis eines Taubenzüchters wird vor Gott nicht anerkannt.«
Ich war wirklich überrascht. Ich hätte niemals gedacht, dass die Taubenzucht so schlecht angesehen war. Noch heute verheiraten viele Eltern ihre Töchter nicht gern mit einem Taubenzüchter.
»Man sagt, die Taubenzüchter lügen, wenn es um eine Taube geht«, erklärte mir Razaq. »Sie streiten wegen einer Taube. Sie sind bereit, alles zu riskieren wegen einer Taube. Und ein Taubenzüchter zu sein, sei für die Taubenliebhaber nicht Hobby, sondern Beruf. Sie jagen fremde Tauben und verkaufen sie und verdienen Geld damit, auch wenn sie genau wissen, wem die gefangene Taube gehört. Sie verkaufen die erjagten Tauben sogar an ihre Besitzer zurück. Außerdem waren gerade die Taubenzüchter früher als Straßenräuber bekannt.«
»Ist das tatsächlich so?«
»Hör mal zu!«, versicherte Sami. »Mit einem Messer kann man töten oder Obst schneiden. Jedes Ding in dieser Welt hat zwei Gesichter. Und ein Taubenzüchter eben auch. Man muss selbst das Gesicht wählen, das einem gefällt! Ich gebe zu, ein Taubenzüchter kann viele schlechte Eigenschaften haben. Aber nur aus der Sicht eines Menschen, der niemalsvom Fliegen geträumt hat. Es gibt überall schlechte und gute Menschen.«
»Weißt du was, Mahdi?«, fuhr Sami fort. »Die Menschen werden niemals aufhören zu schwatzen. Sie sind so und bleiben so. Aber ich erzähle dir jetzt etwas, was du für dein ganzes Leben bewahren kannst. Es ist eine kleine Geschichte von Imam Jafer Al-Sadiq. Einmal kam jemand und sagte zu ihm, die Leute würden ihn beschimpfen, weil er Schiit sei und Al-Sadiq folge. Der Imam antwortete: ›Wenn du eine Perle in der Hand hast und die Menschen sagen, es sei nur ein Stein, schadet dir das? Und wenn du einen Stein hast und die Menschen behaupten, er sei eine Perle, hilft dir das? Glaub an das, was du in der Hand hast.‹ Das hat Al-Sadiq vor Jahrhunderten gesagt, und ich sage dir das heute: Glaub an dich und an das, was du hast, und lass die anderen sagen, was sie wollen.«
Also blieb ich bei meinen Tauben. Ich liebte sie. Eine braune Taube, die sehr hübsch aussah, habe ich Haiat genannt. Eine andere, weiße, hieß Rosa. Wieder andere Muhsin, Jack, Hamida, Sami und Razaq … Ich besaß alle meine geliebten Menschen als Tauben. Wie hätte ich sie also nicht lieben können? Mein Onkel und seine Frau mussten mich eben so nehmen, wie ich war.
Ich begann schließlich mit jedem über Taubenzucht zu reden, überall verbreitete ich nur Gutes über Tauben und ihre Kenner, sogar in der Schule. Die Tauben seien schön, die edelsten Wesen der Welt und hätten einen geheimnisvollen Duft. Weil ich von nichts anderem mehr redete, haben mir die Leute im Viertel einen neuen Namen gegeben, den ich sehr mochte, obwohl sie mich eigentlich damit hatten ärgern wollen. Seither heiße ich nicht mehr Mahdi Muhsin, sondern Mahdi Hamama – Mahdi Taube.
Sami fand meinen neuen Namen auch sehr schön. Er nannte mich gern so. Und wenn man mich suchte, hatte man mit meinem alten Namen bald kaum mehr eine Chance. Aber wenn man in der Al-Habubi-Straße nachMahdi Taube fragte, zeigte jeder mit dem Finger auf Jasims oder auf Samis Haus, auf das Dach mit den Tauben oder auf das Taubencafé.
Er ist ein Iraker sumerischer Abstammung, der von einem assyrischen Pferd auf einen babylonischen Stein fiel und daraufhin einen mesopotamischen Vogel bekam. So hat Razaq Sami einmal beschrieben.
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