Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
Vom Netzwerk:
Al-Abbas.«
    Ahmed war eigentlich nicht Mitglied einer Partei. Trotzdem war er festgenommen worden, wegen eines Freundes, der mit einer religiösen Partei zusammenarbeitete. Er wusste von dessen Aktivitäten, hatte ihn aber nicht angezeigt, und deswegen wurde er wegen Vaterlandsverrats angeklagt. So nannte man das. Eine derartige Anklage konnte bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis bedeuten. Schließlich starb er aber gar nicht so heldenhaft wie seine beiden Vorbilder, sondern wegen einer halbstündigen Wasserschlauch-Dusche.

    Als Shruq Fridon sich nach nur drei Monaten Haft einfach selbst umbrachte, war ich mit den Nerven am Ende. Ich redete fast eine Woche lang nicht, sondern starrte nur apathisch die grauen Wände an.
    Shruq, der in der letzten Zelle der Abteilung saß, und ich waren gut befreundet. Oft erzählte er mir auf unserem Flurspaziergang aus seinem Leben und ich ihm aus meinem. Immer wieder wollte er von mir etwas über die Tauben erfahren. Doch sein Leben machte mich verlegen. Er war Kurde und stammte aus der Stadt Arbil im Nordirak. Er liebte diese Stadt und erzählte gern davon.
    »Arbil zählt zu den ältesten Städten der Welt«, erklärte er stolz. »Viertausend Jahre alt. Der Name Arbil bedeutet: Vier Götter.«
    »Deine Vier Götter habe ich niemals besucht. Leider!«, bedauerte ich höflich.
    »Wenn wir noch mal in diese Welt geboren werden, kannst du mich ja besuchen.«
    Shruq hatte das Lesen und Schreiben in den Bergen gelernt. Er lebte bei seinem Vater, der wie ein Adler auf den Gipfeln der Berge hauste und kämpfte. Sein Vater Fridon war ein Kämpfer der Demokratischen Partei Kurdistans und oftmit dem großen Kämpfer der Kurden, Mulla Mustafa Barzani, zusammen. Nach Barzanis Tod im Jahr 1979 übernahmen seine Söhne die Führung der DPK. Fridon erkannte sie nicht als Führer der Partei an. Er führte eine Gruppe von zweihundert Männern an und kämpfte auf eigene Faust gegen die irakische Armee, bis er und viele seiner Männer in einem Gefecht ums Leben kamen.
    Als sein Vater starb, war Shruq erst dreizehn Jahre alt. Einige Anhänger seines Vaters brachten ihm den Partisanenkampf in den Bergen bei. Seit er siebzehn war, kannte er nur einen einzigen Freund, seine Waffe. »Als Kurde habe ich nicht viele treue Freunde in der Welt«, meinte er. In den Bergen kämpfte er gegen die Regierungstruppen. »Seit ich Kind war, habe ich nur Soldaten gesehen, die unsere Männer umbrachten und unsere Frauen vergewaltigten.«
    Später, als Shruq zwanzig wurde, heiratete er eine Kurdin, die mit ihm in den Bergen kämpfte, aber in das Dorf ihrer Familie zurückkehrte, als sie schwanger wurde. Shruq kämpfte weiter. Er lernte Grausamkeiten kennen, die man sich nicht vorstellen kann. Oft sah er mit eigenen Augen, wie die Dörfer in Kurdistan durch Bomben zerstört wurden, und er musste 1988 die großen Giftgasangriffe in der Stadt Halabdscha miterleben. Er war mit anderen Männern unterwegs zur iranischen Grenze, auf der Flucht vor den Luftangriffen der irakischen Armee. Damals wollte das Regime mit der sogenannten Anfal-Operation die kurdischen Partisanen aus Kurdistan vertreiben. Shruq und seine Männer versteckten sich in einer Höhle in den Bergen. Nach drei Tagen, als sie bemerkten, dass die Luftangriffe aufhörten, zogen sie weiter und kamen nach Halabdscha.
    »Überall Leichen. Kinder, Frauen, Männer, Tiere. Alle tot. Diesen Anblick werde ich nie im Leben vergessen. Und ich kann keine Worte finden, die dieses Bild beschreiben könnten. Die Stadt war mit Giftgas bombardiert worden.«
    Shruq floh in den Iran, blieb aber nur einige Monate dort. Er entschied sich, in den Südirak zu gehen, um von dort ausin den Norden zu seiner Familie zu gelangen. An der iranisch-irakischen Grenze wurde er aber festgenommen und zu uns ins Gefängnis gesteckt.
    Als Adnan eines Tages nach dem »Spaziergang« die Flurtür schließen wollte, vermisste er Shruq. Er fand ihn auf dem Klo. Er hatte den Kopf solange gegen die Wand geschlagen, bis er tot umgefallen war.
    Seine Zellenbewohner erzählten mir, einen Tag vor seinem Tod sei er von den Verhörpolizisten abgeholt worden, nach einer Stunde aber zurückgekehrt. Er habe nicht sagen wollen, was sie von ihm gewollt hatten, habe aber sehr traurig und niedergeschlagen ausgesehen und die ganze Nacht nicht geschlafen. Er habe ein langes Gedicht an die Wand geschrieben. Das habe ich mehrere Male gelesen, wenn wir unseren Spaziergang hatten, bis ich es auswendig konnte.
    DAS LEBEN DER

Weitere Kostenlose Bücher