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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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für ein Jahr ins Gefängnis musste, wegen angeblicher Überteuerung der Ware. In den achtziger Jahren hatte die Regierung für alle Waren im Land einen bestimmten Preis festgesetzt. Lailas Vater verkaufte aber einmal die Orangen in seinem Geschäft über dem staatlichen Richtpreis und wurde von einem Preiskontrollbeamten erwischt. Dafür landete er im Abu-Ghraib-Gefängnis. Laila musste anstelle ihres Vaters im Geschäft arbeiten. Und als er wieder freikam, entschied er, sie müsse ihm weiterhin helfen. Die Familie war groß, und er schaffte es nicht mehr allein, alle durchzufüttern. Er könne, sagte er, seine Tochter nicht unterstützen, bis sie Ärztin sei. Laila besuchte nebenbei eine Krankenschwesternschule, um so schnell wie möglich eine einträgliche Arbeitsstelle zu bekommen. Damals, während des Irak-Iran-Krieges, brauchte das Land Unmengen von Krankenschwestern für die vielen Verletzten und Kriegsinvaliden. Nach der Prüfung arbeitete sie auch tatsächlich als Krankenschwester im Hospital vonNasrijah. Sie half zusätzlich weiter ihrem Vater, der im Laufe der Zeit eine schwere Wirbelsäulenerkrankung bekam. Bald konnte er das Bett nicht mehr verlassen und starb schließlich.
    Von da an musste Laila allein für die Familie sorgen. Wegen ihrer außerordentlichen Schönheit zog sie eine Reihe von Verehrern an. Doch sie wies alle ab, bis der braune irakisch-indisch-pakistanische Razaq ihren Weg kreuzte. Er hatte eine schwere Bronchitis und musste zwei Tage im Krankenhaus liegen. Er zeigte aber, im Gegensatz zu allen anderen Männern, keinerlei Interesse an ihr. Später lächelte sie verschwörerisch: »Das war’s, was ich vermisst habe. Einen Mann, der mir keine Beachtung schenkt.«
    Sie sprach Razaq an, der nie geglaubt hatte, jemals eine so schöne Frau bekommen zu können. Er hielt um ihre Hand an. Sie sagte zu, aber unter einer Bedingung. »Mein Gehalt gehört nicht uns, sondern meiner Familie, bis meine Geschwister erwachsen sind.« Diese Bedingung ließ Razaq sie noch mehr lieben. Und seitdem lebten sie zusammen.
    Wie ich Sami dankbar bin, weil er meine Liebe zu den Tauben entfacht hat, muss ich mich bei Razaq bedanken, weil er mich zum Lesen brachte. Er gab mir fast jede Woche ein Buch. Er war ein echter Bücherwurm und auch Übersetzer, sogar ein ziemlich bekannter, da er viel Prosa und Lyrik aus dem Englischen ins Arabische übersetzte. Vieles davon habe ich gelesen, und am besten gefielen mir die Gedichte von Tagore.
    In seiner Dreizimmerwohnung hatte Razaq sich ein Arbeitszimmer eingerichtet. Darin gab es nichts als einen Tisch mit Schreibutensilien, Stühle, Taubenbilder und Kassettenrekorder. Und vier Wände, die man nicht sehen konnte, weil die Bücherregale bis unter die Decke reichten.
    Razaq war kein Taubenzüchter. Er liebte die Tauben nur. Durch ihn habe ich herausgefunden, welchen Beruf ich ergreifen wollte. Ich dachte ernsthaft daran, Lehrer zuwerden. Wie mein Vater. Aber nicht für Geografie, sondern für das Fach, das Sami ursprünglich studieren wollte: Literatur.
    »So würdest du beide, deinen Vater und Sami, beerben«, sagte Razaq.
    Ich dachte, ich könne auch Literatur übersetzen und weiterführen, was Razaq begonnen hat. Oder selbst literarische Werke verfassen. »Warum nicht? Du kannst das sicher, aber du müsstest wirklich etwas dafür tun«, ermutigte mich Sami. Ja, ich musste etwas tun. Seit ich Sami, Razaq und die Tauben kannte, hatte ich nämlich nicht mehr viel Zeit auf meine Schularbeiten verwendet.

Elftes Kapitel
Befreiung
1991
    Obwohl draußen der Krieg tobte, herrschte in unserem unterirdischen Loch ein seltsamer Friede. Seit Kriegsbeginn kam es mir vor, als wolle sich die Welt in diesem Inferno selbst berichtigen. Die Wärter, so schien mir, hatten sich in normale Menschen zurückverwandelt und waren plötzlich keine bewaffneten Affen in Uniform mehr. Sie kümmerten sich nicht mehr um uns – im polizeilichen Sinne – und ließen uns in Ruhe. Keine Folter mehr, keine außergewöhnlichen Maßnahmen. Man konnte die Verwandlung in ihren Gesichtern und an ihrem Verhalten erkennen. Sie wirkten nervös, beinahe ängstlich.
    Ein Wärter namens Sufian, der früher immer vor Freude zu zittern schien, wenn er uns mit dem Stock schlagen oder mit dem Fuß treten durfte, begrüßte uns auffallend zuvorkommend. Er stand oft vor der Haupttür und rief: »Salamu Aleikum!« Dieser Wärter, von dem ich glaubte, dass er nichtwusste, wie viele Buchstaben die arabische Sprache hat,

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