Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
Vom Netzwerk:
antwortete schnell: »Er ist krank. Lassen Sie ihn in Ruhe. Wo wohnen Sie? In Al-Habubi?«
    Die beiden begannen zu plaudern. Ich lehnte meine Stirn an das Fenster. Mit umherirrenden Augen sah ich durch die Scheibe die Straßen, die mir völlig fremd vorkamen. Reihenweise zerstörte Gebäude. Nur einige Männer, die ihre Waffen spazieren trugen. Aber es gab keine Bilder des Präsidenten mehr, die früher sämtliche Straßen und Plätze verschandelt hatten. Auch keine politischen Parolen mehr an den Mauern. Keine Spur mehr vom vollständigen Namen der Baath-Partei: »Arabische Sozialistische Partei der Wiedererweckung«. An ihre Stelle waren andere Bilder getreten. Religiöse Männer mit weißen Gesichtern und schwarzen Turbanen. Und andere Slogans: »Es lebe die irakische islamische Republik« und »Hoch die Revolution des Imam Al-Mahdi« …
    Als wir zu Hause ankamen, wollte ich gleich zum Haus meines Freundes Sami. Doch Jasim versuchte mich davon abzuhalten: »Er ist nicht da.«
    »Wo ist er denn?«
    »Bei den Aufständischen.«
    »Und Razaq?«
    »Auch bei den Aufständischen.«
    »Wann kommen sie heim?«
    »Keine Ahnung!«
    Ich schwieg. Ich ging ins Wohnzimmer und fand dort fast zwanzig alte Männer und Frauen vor, die auf dem Boden saßen, mich anschauten und lächelten. Hamida sagte: »Sie wollen dich über ihre Kinder ausfragen.«
    Eine alte Dame stand auf, eingehüllt in schwarze Kleider. Sie näherte sich mir. Ich betrachtete sie genauer und traute meinen Augen nicht. Es war Alis Mutter. Die arme Frau sah traurig und müde aus. Sie umarmte mich. »Hast du mich nicht erkannt?« Sie küsste mich auf die Stirn. Ich nahm ihre Hand, ließ sie auf dem Boden Platz nehmen und hocktemich neben sie. »Gott sei Dank! Du bist am Leben. Gott beschütze dich!«, sagte sie erleichtert. Ich beugte mich vor und küsste ihre Hand. »Wie geht es dir?«
    »Oh, ich bin eine alte Frau. Mir geht es gut, wenn es euch gut geht. Wo ist mein Ältester, dein Freund Ali?«
    Ich brachte kein Wort heraus. Sie schaute mich an und wartete auf eine Antwort auf diese lebenswichtige entscheidende Frage. Ich schwieg weiter. Sämtliche Augenpaare hingen gespannt an meinen Lippen. Ich hörte nur das Atmen der Anwesenden.
    »Man sagt, er sei mit dir zusammen gewesen«, sagte sie endlich in die bedrückende Stille hinein.
    »Ja. Ali war bei mir. Aber nicht lange.«
    »Lebt er noch?« Ein Anflug von Hoffnung belebte ihr Gesicht.
    »Ich habe ihn nur zwei Mal gesehen. Beim zweiten Mal sagte er, er würde von der Polizei bald nach Bagdad verlegt. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er ist vermutlich in Bagdad im Gefängnis.«
    »In Bagdad?«
    »Ja.«
    »Und was hat er getan, dass sie ihn nach Bagdad verlegt haben?«
    »Er hat nichts getan. Nichts Schlechtes. Er wird bald kommen. Ich bin sicher.«
    Die Frau schaute verlegen zur Decke. »O Gott, erhöre Mahdis Worte und bringe mir meinen Sohn zurück!« Sie stand auf, küsste mich noch einmal auf die Stirn und ging lautlos nach draußen.
    Nach diesem Gespräch mit Alis Mutter wollte ich nur noch allein sein. Doch auch die anderen erwarteten Antworten von mir. Jeder hatte einen Vermissten, einen Sohn oder Ehemann. Namen über Namen, die ich nicht kannte. Ich musste fast jedem denselben Satz sagen: »Es tut mir leid. Ich kenne ihn nicht. Ich habe den Namen nie gehört.«
    Zuletzt blieb ein alter Mann. Er stand mit Hilfe seines Stocks auf und blieb vor mir stehen. Ein Gesicht aus lauter Falten.
    »Mein Sohn«, er stockte.
    »Ja!«
    »Er heißt …« Er verstummte noch einmal. »Nein. Danke! Ich will es nicht wissen.« Er drehte sich um und ging in Richtung Haupttür, öffnete sie und verschwand zwischen den Passanten auf der Straße.

    Mittags suchte ich den Schlüssel von Samis Haus, konnte ihn aber nicht finden. Hamida erzählte mir, Sami habe ihn mitgenommen.
    Ich blieb auf dem Dach, betrachtete den vertrauten Himmel. Nur wenige Tauben zwischen den Wolken. Und ein paar Flugzeuge, aber weit entfernt. Vielleicht die Alliierten, dachte ich. Ich blieb lange auf der Terrasse sitzen, fühlte mich dann aber plötzlich müde. Ich nahm noch einmal eine Schlaftablette, wie es der Arzt angeordnet hatte, und legte mich aufs Sofa.
    Irgendwann am Abend wachte ich auf. Hamida brachte mir einen Teller Suppe. Danach schlief ich wieder ein. Dann drang eine Stimme an mein Ohr: »Faultier. Steh auf! Es ist zehn Uhr morgens.« Das war Jasim. »Laila wartet auf dich im Wohnzimmer. Steh auf! Und nimm diese Tabletten nicht

Weitere Kostenlose Bücher