Die Orangen des Präsidenten
Brot ist sehr teuer geworden. Um überhaupt eines zu bekommen, muss man kämpfen. Einige Baathisten haben die Nahrungsmittel vor dem Krieg aus den staatlichen Lebensmittellagern für sich requiriert und verkaufenjetzt alles zu unglaublichen Preisen an die Lebensmittelgeschäfte. Und diese weiter an uns, fast unbezahlbar.
Die Leute sind inzwischen bereit, sich gegenseitig aufzufressen. Gestern habe ich vier Hunde im Zentrum gesehen. Sie kamen aus der Wüste, am hellen Tag. Nicht wie früher, wo sie nur in der Nacht auftauchten, um in den Mülltonnen der Stadt Futter zu suchen. Die vier Hunde haben in einer Mülltonne ein altes, verschimmeltes Brot gefunden und wie wild darum gekämpft. Was machen sie erst, wenn sie ein Stück Fleisch finden? Wir sind alle wie diese Hunde geworden. Kämpfen wie wilde Tiere um einen einzigen Bissen.
Ich will nicht mehr darüber schreiben, weil ich sehr müde bin. Ich kann Dir nur sagen, dass die Menschen auch keine Angst vor der Regierung mehr haben. Sie schimpfen auf der Straße laut und deutlich über sie. Ein gläubiger Junge aus unserem Viertel hat vor einigen Tagen sogar einen Baathisten verprügelt, einfach so. Und die anderen Baathisten haben tatenlos zugeschaut. Viele zeigen sich nicht mehr in der Öffentlichkeit. Andere sind plötzlich verschwunden. Ich habe keine Ahnung, wohin. Sie haben Angst, man könnte sich an ihnen rächen. Wenn sie sich nun auf der Straße zeigen, dann immer nur gruppenweise, zehn Männer oder mehr und bis an die Zähne bewaffnet.
Der Mut dieser einfachen Leute hat mit dem Stromausfall zu tun, nehme ich an. Seitdem können die Leute nicht mehr fernsehen. Sie sehen Saddam nicht mehr, seine Paradeuniform und seine Waffe. Er jubelt nicht mehr. Er hat sowieso seit Kriegsbeginn nur zwei Reden gehalten, eine im Radio und eine im Fernsehen. Unglaublich, oder? Früher waren es zwei am Tag! Seine Stimme klang sehr komisch. Man glaubte, es sei das Echo, das seine Stimme verzerrte. Er hatte sich sicher irgendwo in einem Loch verkrochen. In den Augen der Leute hat er seine übermenschliche Stärke schon verloren. Er ist nicht mehr die Bestie, die alle fürchteten. Ich glaube, die Leute sind einfach mutig geworden, weil er nicht mehr jeden Tag seine Augen in ihre Augen bohrt. Konnte derFernseher tatsächlich eine so prägende Rolle spielen, so manipulieren? Ich glaube, die Macht dieses Polizeistaates hing davon ab, dass sich Saddam in den Medien als allmächtiges Monster präsentierte. Die Leute glaubten, er sei unsterblich, und jetzt ist dieser Glaube zerstört. Ich weiß nicht, ob meine Analyse stimmt. Irgendwann werde ich darüber schreiben: der Fernseher und die Diktatur, die Macht der Lüge. Auch ein schöner Titel.
Im Radio hörte ich den Sender
Stimme des Freien Irak
, dessen Beiträge die irakische Opposition aus dem Ausland sendet. Zurzeit hören wir ausschließlich fremde Sender. Der Sprecher meinte, es werde bald einen Aufstand geben. Die Amerikaner wollen Saddam stürzen, sobald sie Kuwait befreit haben. Ich hoffe, sie stecken ihm seine Paläste in den Arsch und zahlen ihm seine Verbrechen heim. Aber ich glaube eigentlich nicht an die Amerikaner. Sie wollen doch nur ihre Ölversorgung sichern und ihren Profit.
Jasim jubelte, als er die Nachricht hörte, dass die Alliierten Saddams Sturz planten und beabsichtigten, der unterdrückten Bevölkerung zu helfen. Er glaubte, es sei die beste Lösung. Ich verstehe ihn. Im Herzen denke ich auch so. Ich will einfach das Ende dieser primitiven Baathisten. Mein Kopf sagt mir aber etwas ganz anderes.
Ich habe Angst, dass die gutgläubigen Leute eine Dummheit begehen und mit Heldenmut gegen die bestgerüstete Armee von Saddam kämpfen und dann von den Alliierten im Stich gelassen werden, wie es schon mehrere Male geschehen ist. Ich bin Geschichtslehrer und weiß, wovon ich rede. Wie viele Länder der Welt wurden während des Kalten Krieges von den Amerikanern oder den Russen in einen neuen Krieg gehetzt und dann im Stich gelassen? Verraten und verkauft! Und von den Diktatoren gegrillt und gefressen. Ich weiß nicht, ob die westliche Welt wirklich an Saddams Ende glaubt. Unser Schicksal bestimmen sie, wie sie wollen, und nicht wir. Wir werden es sehen, wenn wir diesen Krieg überleben.
Es tut mir leid, ich bin heute wenig optimistisch. Ich habe Hunger. Ich kann einfach nicht schlafen. Mein Bauch tut weh. Alles, was ich heute bekam, habe ich Laila und meinen zwei Engeln überlassen. Und das war verdammt noch mal
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