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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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    Laila umarmte mich und weinte. Die hübsche Laila war eine zutiefst traurige und müde Frau geworden, aber ihre geheimnisvolle Schönheit schien immer noch durch. Sie betrachtete mich eingehend, als wolle sie sicher sein, dass ich Mahdi sei, aus Fleisch und Blut.
    »Herzlich willkommen im Leben!«, lächelte Laila.
    »Danke!«
    »Mein Gott! Du hast dich aber ordentlich verändert!«
    »Das ist das Leben!«
    »Richtig!«
    »Wo ist Razaq?«
    »Nicht hier. In Bagdad vielleicht.«
    »Was macht er dort?«
    »Er hat sich bewaffnet und ist mit einigen Männern weggegangen. Es gibt immer Verrückte, die ihm zuhören. Er sagte, sie marschieren nach Bagdad.«
    »Nein!«
    »Ja. So ist es.«
    »Und Sami?«
    »Keine Ahnung! Ich habe ihn seit Langem nicht mehr gesehen.«
    Laila redete nicht viel mit mir. Sie wollte nicht auf meine Fragen eingehen. Sie schaute mich nur etwas überrascht an und behauptete dann, die Kinder seien allein zu Hause, und sie müsse zurück. Sie holte einen großen Briefumschlag aus ihrer Tasche und drückte ihn mir in die Hand.
    »Wenn du das gelesen hast, wirst du alles verstehen.«
    »Was soll ich verstehen?«
    »Alles!«
    »Was ist da drin?«
    »Briefe von Razaq an dich!«
    Sie drehte sich um und ging schnell weg. Ich schaute ihr nach. Sie wechselte in der Küche mit Hamida einige Worte und verließ dann das Haus.
    Ich wollte den Umschlag nicht öffnen. Irgendwie erschien mir alles sehr merkwürdig. Keiner wollte mir erklären, wo Sami und Razaq abgeblieben waren. In der Tiefe meines Herzens hoffte ich inständig, dass ihnen nichts Schlimmes zugestoßen war, während ich im Gefängnis saß.
    Ich kehrte in mein Zimmer zurück und legte mich auf die Couch. Ich entschied, den Umschlag doch zu öffnen und entnahm mein Abiturzeugnis. Ich hatte bestanden. Durchschnittsnote 82 %. Ich betrachtete es lange, legte es lächelnd auf den Tisch und wandte mich den Briefen zu.

Dreizehntes Kapitel
Briefe
1991
Brief an einen Gefangenen
(1)
    Lieber Mahdi,
    man schreibt persönliche Briefe ohne Überschrift. Warum eigentlich? Seit der Erfindung der Schrift haben die Menschen ihre persönlichen Briefe niemals mit einem Titel versehen, sondern mit einer einfachen Anrede. Es gibt nur ein Volk, das als Ausnahme gilt. Welches, habe ich leider vergessen. Ich weiß aber, dass dieses Volk einmal existiert hat. Heute ist es ausgestorben.
    Ich dachte daran, meinen Brief an Dich mit Folgendem zu beginnen: Brief an einen Gefangenen. Kein schlechter Titel, oder? Nicht nur für einen Brief. Sondern auch für einen Roman.
    Nun bist Du schon so lange nicht mehr da. Wir alle dachten, Du seist tot. Wir haben gewusst, dass Du in politischer Haft bist, und das bedeutete für uns: tot. Wir hörten von den Baathisten unseres Viertels, dass es sich bei Dir um eine echte politische Angelegenheit handele. Seitdem hatten wir es aufgegeben, davon zu träumen, Dich noch einmal zu sehen. Ich kannte keinen, der in politischer Haft war und zu seiner Familie zurückgekehrt ist. Später hörten wir aber, es gebe keine Anklage mehr gegen Dich. Deine Haft sei nur noch eine Sicherheitsmaßnahme. Das gab uns wieder Hoffung. Und als ich Dich dann mit meinen eigenen Augen gesehen hatte, erwachte in mir der Schreibdrache. Ich wartete nur noch auf die passende Zeit. Heute habe ich mich entschieden, auf den Rücken dieses Drachens zu steigen.
    Ja, ich habe Dich gesehen. Wir, Sami und ich, haben Dich im Gefängnis besucht. Dir stehen jetzt bestimmt Augen und Mund offen! Ich würde auch so reagieren, wenn man mir das erzählen würde. Wir waren bei Dir, haben Dich genau angeschaut. Du hast sehr dünn und müde ausgesehen und trugst Augenbinde, Handschellen und schmutzige Kleider. Die Wärter haben Dich mit anderen Gefangenen auf einer Terrasse stehen lassen. Wir warteten im Haus gegenüber. Durch ein Fenster konnten wir Dich anschauen, durften aber nicht mit Dir reden. Es hat nur eine Minute gedauert. Für uns war das sehr wichtig, weil wir nun wussten, dass Du noch am Leben bist.
    Diese eine Minute war sehr teuer. Wir mussten in Dollar bezahlen, der Polizist wollte keine Dinar. Er verlangte zweitausend Dollar. Ich weiß nicht, wie der Polizist wirklich hieß. Abu-Al-Houb – Vater der Liebe –, so nannte er sich. Blond, kräftig und groß wie Goliath. Durch eine Hure aus unserem Viertel knüpfte er Kontakt mit Sami. Keiner unserer vielen Bekannten konnte Dich finden, doch diese Königin der Nacht, Selma heißt sie, hat es geschafft. Abu-Liebe war einer

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