Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
schon nicht erwischt. Das hatte er nie!
Doch sie wusste, dass sie sich etwas vormachte. Drustan hatte sie damit überrascht, aus einer anderen Richtung zurückzukehren. Sie hätte es niemals zurück zur Baracke geschafft. Und der erste Weg des Magisters nach seinen nächtlichen Ausflügen war der Weg in den Schlafsaal. Er hätte ihr Fehlen bemerkt. Wäre Luc nicht gewesen, dann würde sie jetzt auf der Bank liegen.
Lucs Handgelenke und Fußknöchel waren mit einem Ledergeschirr gefesselt. Er lag auf dem Bauch und konnte sich nicht mehr bewegen. Seine Beine waren angewinkelt. Die nackten Fußsohlen zeigten schräg nach oben. Luc wusste, was ihn erwartete. Dennoch bemühte er sich zu lächeln.
»Luc de Lanzac, du wirst bestraft, weil du gestern Nacht gegen das Gebot des Ordens die Baracke verlassen hast. Dafür wirst du zehn Schläge erhalten. Und weil du mir nicht sagen willst, mit wem du dich draußen getroffen hast, wirst du zehn weitere Schläge erhalten.«
Drustan blickte auf und sah die Novizen der Reihe nach an. Bei Gishild verweilte sein Blick ein wenig länger, glaubte sie. Doch dann bemerkte sie, dass er auch Bernadette und die farblose Anne-Marie länger ansah.
»Ich weiß, warum sich Novizen heimlich nachts aus der Baracke schleichen«, sagte Drustan. »Glaubt nicht, ich wäre nicht wie ihr gewesen. Und glaubt mir, am Ende kommt es
immer heraus. Jedes Geheimnis! Manchmal dauert es neun Monate … Aber es kommt heraus! Du musst also nicht den Helden spielen, Luc.«
»Ich bin hinausgegangen, weil ich das Licht des Nordsterns sehen wollte, Magister.«
Lucs Stimme zitterte ein wenig.
Gishild ballte die Fäuste. Sie würde vortreten und dem ein Ende machen. Doch dann bemerkte sie, wie Luc sie ansah. Einen Herzschlag lang nur. Seine Augen baten sie, es nicht zu tun. Er wollte das allein durchstehen, dieser verdammte Narr. Warum? Das war nicht gerecht!
»Darf ich sprechen, Magister?«
Joaquino trat aus der Reihe der Novizen vor.
Drustan runzelte verwundert die Stirn. »Ja?«
»Wir haben heute Mittag einen Buhurt. Wir brauchen Luc. Wenn seine Füße zerschlagen werden, kann er nicht spielen.«
Der Ritter schüttelte den Kopf. »Ihr habt bisher jedes Mal verloren. Es ist unbedeutend, ob ihr mit ihm oder ohne ihn spielt.«
»Aber heute spielen wir gegen die Äxte«, beharrte Joaquino. »Sie haben fast genauso viele Niederlagen einstecken müssen wie wir. Luc ist ein guter Kämpfer. Er wird den Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage ausmachen.«
»Das hätte er sich gestern überlegen sollen, als er aus der Baracke geschlichen ist. Ihr seid ein selbstsüchtiger Haufen. Deshalb könnt ihr nicht gewinnen. Niemals! Wenn Luc ein Löwe wäre, dann hätte er gestern den Schlafsaal nicht verlassen. Er hätte gewusst, dass er heute von euch gebraucht wird! Aber er hat sich wohl eingebildet, dass er niemals erwischt wird. Eure Überheblichkeit ist es, die euch im Weg steht. Ich habe lange genug versucht, euch als Magister auch
ein Freund zu sein. Aber ihr dankt es mir nicht. Von nun an werde ich Härte zeigen. Und zur Not werde ich Verantwortungsgefühl und Ehre in euch hineinprügeln!«
»Magister, ich war es, mit dem Luc sich gestern getroffen hat.«
Gishild sah den großen Jungen fassungslos an. Warum tat Joaquino das? Sie konnte nicht zusehen, wie noch ein Unschuldiger ihretwegen Prügel bekam.
»Es tut mir leid, Magister, aber Bruder Joaquino lügt. Ich war es, mit der sich Luc gestern getroffen hat.«
Drustan sah von ihr zu Joaquino.
»Was soll das? Glaubt ihr etwa, ich werde einem von euch die Strafe erlassen, weil ihr nur noch elf seid und man zum Buhurt mit zwölf Spielern antreten muss?«
»Ich war allein draußen, Magister«, sagte Luc. »Die beiden lügen, um mir Schläge zu ersparen.«
Drustan tippte Joaquino mit dem Rohrstock auf die Brust.
»Der hier lügt, weil er hofft, mit dir endlich mal einen Buhurt zu gewinnen.« Er wandte sich an Gishild.
»Und sie … Sie sagt möglicherweise die Wahrheit. Oder?«
Drustan ging vor Luc in die Knie.
»War sie es? Warst du mit ihr draußen? Habt ihr Händchen gehalten und zu den Sternen geschaut? Antworte! Dann ersparst du dir zehn Schläge und wirst nur für das Verlassen der Baracke bestraft.«
Luc schwieg.
Gishild konnte es nicht fassen. Sie hatte sich doch schon gestellt. Warum sagte er nicht einfach, wie es gewesen war? Um sie vor den anderen nicht bloßzustellen? Jeder würde denken, dass Drustans Behauptungen stimmten, wenn Luc jetzt
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