Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
zurückzogen, um über ihr Urteil zu beraten? Und Leon nickte, als Jerome seine Ausführungen beendete.
EINE FÜR ALLE
Sie alle standen um den großen Tisch in Drustans Kammer versammelt. Tausende von Kupfer- und Silbermünzen lagen darauf. Ein wahrer Schatz. Nie zuvor hatte Gishild so viel Silber auf einem Haufen gesehen.
Spielschulden waren Ehrenschulden, so hieß es unter den Novizen. Und nach dem Buhurt waren alle geradezu darauf versessen gewesen, ihre Ehrenhaftigkeit unter Beweis zu stellen. Vor die Füße geworfen hatte man ihnen die Münzen. Und Leon hatte eine Eskorte abgestellt, um die siebenundvierzigsten Löwen vor dem Unmut der übrigen Novizen zu schützen. ›Beutelschneider‹ und ›ehrlose Bastarde‹ war noch das Freundlichste, was sie zu hören bekommen hatten. Die Magister und Ritter, die ihre Schulden beglichen hatten, dachten ähnlich. Man hatte es ihren Gesichtern angesehen, auch wenn sie ihre Zunge im Zaume hielten.
Raffael hatte über jedes Kupferstück peinlich genau Buch geführt. Gishild verstand ihn nicht. Man sah ihm an, dass es
auch ihm zu schaffen machte, was geschehen war, aber er konnte nicht aus seiner Haut. Er musste zu Ende bringen, was er mit seinen unseligen Wetten begonnen hatte.
»Sie werden ihn doch nicht hängen, oder?«, fragte Giacomo. Sein Kopf war so bandagiert, dass man nur noch Augen und Mund sah. Seine Nase war gebrochen, und man hatte die Platzwunden in seinem Gesicht mit dreiundvierzig Stichen nähen müssen.
»Das tun sie doch bestimmt nicht!«
Gishild sah, wie der Muskel in Drustans Wange zuckte. Er sagte nichts. Stattdessen sprach Michelle, die mit ihnen gemeinsam in der Baracke darauf wartete, wie das Ehrengericht entschied.
»Es geschieht sehr selten, dass ein Novize zum Tode verurteilt wird, aber es kommt vor. In meiner Zeit als Novizin habe ich erlebt, wie ein Junge aus dem letzten Jahrgang gesteinigt wurde, weil er einer Magd Gewalt angetan hatte.«
Drustan trommelte mit den Fingern seiner verbliebenen Hand auf dem Tisch.
»Ich erinnere mich …« Er seufzte. »Wenn das Gericht die Ehre einer Jungfer so hoch einschätzte, wie wird es dann erst urteilen, wenn es um die Ehre des Ordens geht.«
»Wir müssen ihn befreien!«, platzte es aus Raffael heraus. »Wir können doch nicht einfach hier sitzen und warten!«
Der Magister schüttelte den Kopf.
»Wie stellst du dir das vor, Junge? Ein Haufen Novizen stürmt die Ordensburg, überwältigt die Wachen, stiehlt ein paar Pferde und schlägt sich zum Hafen durch. Und dann entführen wir ein Schiff?«
»Aber es muss doch …« Raffael war den Tränen nahe, während Drustan immer wütender wurde.
»Ihr hättet mir sagen müssen, was ihr da ausgeheckt habt!
Verdammt! Glaubt ihr, es macht mir Freude, den strengen Lehrer zu spielen? Ich muss euch vor euch selbst schützen …«
Michelle legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Jetzt ist es zu spät. Wir können nur warten«, sagte sie niedergeschlagen.
Drustan sah die Novizen einen nach dem anderen an.
»Glaubt nur nicht, dass ich mir nicht vorstellen kann, was in euren Köpfen vor sich geht.«
Gishild sah zur Tür der Baracke. Draußen war es inzwischen dunkel geworden.
»Wenn ich nicht hier wäre, dann würdet ihr losrennen und euch einen Dreck darum scheren, was für Strafen euch erwarten. Aber ihr müsst einsehen, dass wir ihm nicht helfen können. Außerdem fürchte ich, dass in dieser Nacht etliche Löwenhasser dort draußen lauern, die darum beten, einem von euch allein im Dunkeln zu begegnen. Noch nie habe ich erlebt, dass eine Lanze so sehr gehasst wurde wie ihr.« Er deutete zu den Silberbergen auf der Tischplatte. »War es das wert?«
Sie schwiegen.
»Wir können doch Luc nicht einfach so im Stich lassen«, sagte Gishild schließlich. Sie stellte sich vor, wie er allein in einer Zelle saß. Wenn sie sich schon so elend fühlten, wie musste es ihm dann erst gehen?
»Das hättet ihr euch vorher überlegen sollen … als ihr seinem verrückten Plan zugestimmt habt. Und den Wetten … Und …« Er hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Münzen klirrten. »Wenn ihr mir wenigstens etwas gesagt hättet!«
»Er sollte nicht allein sein.«
»Glaubst du, das hilft ihm jetzt noch, wenn ihr Michelle und mir sagt, dass es euch leidtut?«
»Es würde ihm helfen, nicht allein zu sein«, beharrte Gishild. Sie war den Tränen nahe. Sie wusste nur zu gut, was es hieß, allein zu sein und um ihr Leben zu fürchten.
Drustan sah zur
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