Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
Fähigkeit erworben, sich lautlos durch den Wald zu bewegen. Sie konnte ein Schatten zwischen Schatten werden und hinterließ auf der Pirsch nicht mehr Spuren als ein sanfter Windhauch, der durch den Wald strich. Gishild hatte gelernt, still wie ein Stein zu verharren und zu warten. Sie hatte die Geduld einer Jägerin erworben, obwohl sie immer das Gefühl hatte, dass sie mit nichts, was sie tat, auch nur annähernd an ihre Lehrmeisterin heranreichte. Silwyna sprach nie von der Vergangenheit. Der einzige Weg, mit ihr klarzukommen, bestand darin, mit aller Kraft zu versuchen, ihre Forderungen zu erfüllen. Nie hatte Gishild eine so strenge Lehrerin gehabt. Noch bevor sie auch nur eine Woche mit Silwyna verbracht hatte, hatte sie sich nach der Ruhe in Ragnars Bibliothek zurückgesehnt. Zugleich erfüllte die Prinzessin aber auch ein tiefer Stolz, von Silwyna als Schülerin ausgesucht worden zu sein. Sie setzte all ihren Ehrgeiz daran, Silwyna gerecht zu werden, und hatte doch ständig das Gefühl zu versagen. Kein Mensch konnte es einem Elfen gleichtun, egal was er versuchte. Sie waren immer besser. Wo Menschen nur wenige Jahre blieben, sich in ihrem Leben zurechtzufinden, da verfügten Elfen über die Erfahrung von Jahrzehnten, ja sogar von Jahrhunderten.
Dass Silwyna einst ihren Ahnherrn Alfadas gekannt hatte, fand Gishild unheimlich. Es war widernatürlich, so alt zu sein! Ihr Vater kam Gishild schon unglaublich alt vor, dabei
zählte sein Leben nur etwas über dreißig Sommer. Das Leben der Elfe aber dauerte schon mehr als tausend Jahre.
Silwyna erwiderte ihren Blick und schüttelte sanft den Kopf. Die Elfe gab ihr den Befehl, sich nicht von der Stelle zu bewegen. Oder hatte ihr Kopfschütteln eine andere Bedeutung?
Die Ritter verharrten mit gezogenen Schwertern. Sie machten keine Anstalten anzugreifen. Wollten sie ihren Vater und seine Gefolgsleute dazu verleiten, den Kampf zu eröffnen? War das ihre verdrehte Art, sich letztlich doch noch an ihr Wort zu halten? Sie könnten sagen, dass sie den Kampf nicht begonnen hätten. Es seien die Heiden gewesen, die den Waffenstillstand gebrochen hätten.
Gishild blickte wieder zu ihrer Lehrerin. Silwyna sah sie unverwandt an. Die Prinzessin beschloss, der Weisheit einer Frau von zehn Jahrhunderten zu trauen. Sie selbst war gerade einmal elf Jahre. Ihr Blick fiel wieder auf Silwyna. Sie waren so fremd, die Elfen, auch wenn sie rein äußerlich den Menschen ähnelten.
Die Prinzessin hatte gehört, wie Krieger einander erzählten, dass einige Elfen zu silbernem Licht vergingen, wenn sie tödlich verwundet wurden. Manchmal stellte Gishild sich vor, dass die Elfen wie der Atem des Waldes waren. Die Brise, die durch die Bäume strich. Ewig. Unantastbar. Eine Naturgewalt.
In die Reihe der Ritter kam Bewegung. Der Wall aus lebendem Stahl teilte sich. Zwei Reiter erschienen: Ein alter Mann mit ausgezehrtem Gesicht und einem von Silberfäden durchzogenen Bart; neben ihm ritt eine Frau mit kurzen blonden Haaren. Eine blasse Narbe zerteilte ihre rechte Augenbraue und ihre Wange. Auf der Brustplatte ihrer Rüstung schimmerte emailliert das Wappen der roten Eiche. Es sah
aus wie frisch vergossenes Blut. Eine Wunde, die ihre Brust zerteilte … Die Frau hatte traurige Augen, fand Gishild. Sie wirkte auf eine Art verletzt, die die junge Prinzessin nicht in Worte zu fassen vermochte. Zugleich hatte die Ritterin etwas von einer in die Enge getriebenen Schneelöwin an sich. Sie schwang sich so anmutig aus dem Sattel, als trage sie nur ein leichtes Jagdgewand und keine schwere Rüstung. Wie eine Katze bewegte sie sich, dachte Gishild. Ob sie wohl auch so launisch war?
Ihr Begleiter war kein Krieger. Er trug eine schlichte blaue Kutte. Kein Schwert war um seine Hüften gegürtet. Seine Hände waren lang und schmal, als habe er an keinem einzigen Tag seines Lebens schwere Arbeit verrichten müssen.
Gishild achtete auf jede Kleinigkeit, ganz wie ihre Lehrerin Silwyna es ihr beigebracht hatte.
Die Kriegerin bewegte sich mit selbstbewusstem Stolz. Jede ihrer Gesten war eine Herausforderung. Noch bevor die beiden auch nur ein Wort gesagt hatten, wusste Gishild, dass sie nicht gekommen waren, um über Frieden zu verhandeln. Ihre Angst kehrte zurück. Sie sah zu den Rittern mit den gezogenen Schwertern. Das bösartige Spiel, das die Ordensritter mit ihnen treiben wollten, hatte gerade erst begonnen.
Der alte Mann an der Seite der Ritterin wirkte müde. Sein Gesicht war von Wind und Sonne
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