Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
Vater ihn nur so hätte sehen können! Er würde mit einer Fechtmeisterin der Neuen Ritterschaft reiten! So wie Vater einst mit seinem Grafen geritten war.
Am liebsten wäre Luc losgelaufen, um seine Sachen zusammenzusuchen. Aber das sähe würdelos aus. Mit Mühe beherrschte er sich, bis er hinaus aus dem Jagdzimmer war. Er schaffte es bis zur Treppe. Da sah ihn niemand mehr. Er hätte schreien können vor Glück. Aber seine Lippen blieben versiegelt. Dafür nahm er immer zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe hinab einem neuen Leben entgegenstürmte.
Es dauerte keine halbe Stunde, bis Luc alles gepackt hatte, was er aus seinem alten Leben mit sich tragen wollte. Sein Vater hatte ihm oft erzählt, wie viele Krieger auf den langen Märschen in Drusna zusammengebrochen waren, weil sie zu viel mit sich herumschleppten. Plunder, den man nie brauchte. Luc hatte sich auf das Wesentliche beschränkt. Gute, saubere Kleidung, die er am Leib trug. Festes Schuhwerk. Eine Decke, in die er ein wenig Ersatzkleidung, eine Zunderdose und auch etwas Proviant eingerollt hatte. Dazu eine lederne Feldflasche. Außerdem nahm er Vaters Stoßrapier
und seinen Dolch mit. Die Waffen waren zwar zu groß für ihn, aber eines Tages würde er sie führen können. Und sein Taschenmesser, das er im Kampf gegen Grauauge verloren hatte, hatte er sich auch zurückgeholt. Auf alles andere verzichtete er.
Michelle musterte ihn knapp, als er mit der zusammengerollten Decke und einem Tuchbeutel über der Schulter vor sie trat. Dann nickte sie. War sie zufrieden mit ihm?
»Du kannst reiten?«
»Ja, Herrin.« Das war ein wenig gelogen. Einen langen Ritt hatte er noch nie unternommen. Wer gab schon einem halbwüchsigen Jungen ein Pferd? Aber er war zuversichtlich, dass er sich auch einen ganzen Tag lang im Sattel halten könnte. Sein Vater war schließlich ein sehr guter Reiter gewesen. Ihm lag das sicher auch im Blut.
Außer Bruder Bartolomé war keiner von Michelles Gefährten bei den Ställen. Der Ritter hielt eine prächtige braune Stute bei den Zügeln, ein wunderschönes Tier mit einem roten Sattel aus geprägtem Leder.
Die Fechtmeisterin wirkte sehr erschöpft. Mit fahriger Geste warf sie sich den Rabenfederumhang über die Schulter und saß auf. Sie ritt einen schwarzen Hengst, der unruhig tänzelte.
Luc tätschelte seinem Pferd den Hals. Die Stute senkte den Kopf. Mit weiten Nüstern nahm sie seine Witterung auf. »Ich werde nett zu dir sein«, flüsterte er ihr ins Ohr. Er hatte von heimtückischen Pferden gehört, die keine Gelegenheit ausließen, ihren Reitern das Leben schwer zu machen. Deshalb wollte er sich mit der Stute von Anfang an gut stellen.
Die Fechtmeisterin lenkte ihren Rappen vom Hof.
»Wir sehen uns bei den Türmen von Valloncour«, rief Bartolomé ihr nach.
Michelle wandte sich um. »Bei den Türmen«, bestätigte sie mit einem traurigen Lächeln.
Was das wohl bedeutete? Luc traute sich nicht nachzufragen. Er schwang sich in den Sattel und folgte der Fechtmeisterin. Seinen Blick hielt er auf ihren Rücken gerichtet, bis sie das Dorf hinter sich gelassen hatten. Selbst dann sah er nicht zurück.
Sein Vater hatte das auch nie getan, wenn er mit dem Grafen ausgeritten war. Das machte alles nur schwerer. Und in Lanzac gab es niemanden mehr, zu dem man hätte zurückkehren können. Es war das einzig Richtige, zu gehen. Trotzdem wurde ihm die Brust eng vor Trauer.
Sie folgten der großen Straße nach Aniscans. Luc brannten tausend Fragen auf der Zunge, aber er beherrschte sich. Wenn die Ritterin mit ihm reden wollte, würde sie ihn das schon wissen lassen. Die letzten Wochen hatten ihn gelehrt, mit der Stille zu leben. Er lauschte auf die vertrauten Geräusche. Auf das Flüstern des Windes in den Pappeln am Fluss, den Ruf eines Steinhähers, der hoch am Himmel seine Kreise zog.
Luc war überrascht, welch schlechte Figur Michelle im Sattel machte. Sie saß vornübergebeugt und schwankte leicht. Irgendwie fühlte er sich dadurch erleichtert. Selbst sie hatte Schwächen. Seit er mit angesehen hatte, wie sie ihren wehrlosen Ordensbruder niedergeschossen hatte, war sie ihm unheimlich. Ihm war klar, dass sie es für ihn getan hatte … Aber warum? Ihre Tat war durch und durch unritterlich. Was hatte sie dazu bewogen?
Michelle sackte nach vorn. Luc hatte den Eindruck, dass sie fast aus dem Sattel gefallen wäre. Er fasste sich ein Herz und lenkte seine Stute an ihre Seite. »Herrin?«
Die Ritterin reagierte
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