Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
verborgen, war eine Beule. Sie war dunkel.
»Lauf, Junge«, sagte Michelle leise. »Du hattest recht … Lauf zum Fluss! Wasch dich, bis dir die Haut brennt, und komm nicht mehr zurück. Du hast eine Pestkranke berührt.«
DAS WERK DER NACHTIGALLEN
Sie erreichten den Kiesstrand des großen Waldsees im letzten Abendlicht. Yulivee streckte sich im Sattel. Die drei Schiffe waren nur schwarze Schemen vor silbergrauem Horizont. Hübsch sahen sie aus mit den langen, träge im Wind wehenden Wimpeln.
Die Magierin entdeckte ein Stück entfernt einige grasende Pferde am Waldrand. Die tiefen Furchen, welche die Kiele von Ruderbooten am Kiesstrand hinterlassen hatten, zeugten vom Triumph ihrer Feinde. Sie waren zu spät gekommen! Die Ordensritter hatten gesiegt. Im Umkreis von Hunderten Meilen gebot der Eherne Bund über kein einziges Schiff. Sie würden die Entführer nicht mehr einholen.
»Sie sind so nahe am Ufer geblieben, um uns zu verhöhnen«, sagte Fenryl bitter. »Sie kosten ihren Triumph aus.«
König Gunnar war bis zu den Hüften ins Wasser gewatet. In seiner Verzweiflung raufte er sich die Haare. »Nennt mir euren Preis! Sagt, was ihr wollt!«, rief er den Schiffen entgegen. »Nehmt sie nicht fort mit euch!«
Tiranu kam zu ihnen geritten. Er reichte Fenryl ein weißes, blutdurchtränktes Hemd. »Das haben meine Männer am Strand gefunden.«
Fenryl knüllte das Hemd zusammen und stopfte es in seine Satteltasche. »Er sollte das nicht sehen.«
»Zeigt mir mein Kind!«, rief Gunnar. Seine kräftige, befehlsgewohnte Stimme klang jetzt schrill.
Yulivee hatte ihn immer gemocht. Viele Elfen fanden ihn grobschlächtig und barbarisch. Doch sie erinnerte er an seinen Ahnherrn Mandred, der einst mit Farodin und Nuramon
gekommen war, um sie aus der Bibliothek von Iskendria zu holen.
Sie stieg aus dem Sattel und watete ins Wasser. Tröstend legte sie ihm die Hand auf den starken, narbenbedeckten Schwertarm. »Komm, mein Freund. Wir werden Gishild wiedersehen. Sie werden uns ihre Bedingungen für den Gefangenenaustausch nennen. Sehr bald schon.«
Gunnar wandte sich zu ihr um. Tränen funkelten in seinem Bart. »Ich möchte sie ja nur kurz sehen. Verstehst du? Nur sehen, wie es ihr geht. Ich bin kein Narr. Ich weiß, dass sie sie mir nicht geben werden. Aber wenn sie mir eine Stunde mit ihr lassen würden. Eine einzige Stunde nur … Ich würde dafür sorgen, dass alle Überlebenden von der Lichtung hierhergebracht würden, für eine Stunde mit ihr.« Er sah sie voller Verzweiflung an. »Das ist doch kein kleiner Preis, nur um sie zu sehen, oder?«
Diesen bulligen, nach dem Blut seiner Feinde stinkenden Krieger so verzweifelt zu sehen, berührte Yulivee tiefer, als sie es für möglich gehalten hätte. Lang verdrängte Erinnerungen stiegen in ihr auf. Erinnerungen daran, was die Ordensritter vom Aschenbaum ihrem Volk, den Freien von Valemas, angetan hatten. Alle, die sie einst geliebt hatte, waren hingemeuchelt worden. Ihr Leben hatte Yulivee einem freundlichen Dschinn zu verdanken, der sie gerade noch vor den Mordbrennern hatte retten können. Nein, sie vermochte Gunnar nicht die Wahrheit zu sagen, sie kannte sie besser. Es gehörte zur Verhandlungstaktik der Tjureddiener, dass sie ihn Gishild nicht sehen ließen. Sie wollten, dass er im Zweifel blieb. Dass er sich etwas vormachen konnte. Die Kleine hatte viel Blut verloren, so viel war gewiss. Vielleicht war sie schon tot. Gunnar sollte das nicht erfahren. Solange er hoffen durfte, wäre er ein fügsamer Verhandlungspartner.
»Ihnen die Gefangenen zu überlassen, wäre ritterlich«, sagte sie leise. Sie vermochte ihm nicht zu sagen, welch perfides Spiel die Tjuredkirche mit ihm spielen würde. Nun hatten sie den wunden Punkt von Gunnar Eichenarm gefunden, jenes wilden Kriegers, dessen Stolz sie auf dem Schlachtfeld nicht zu brechen vermocht hatten.
Yulivee musste an all die verzweifelten Schlachten um Drusna denken. Trotz ihres erbitterten Widerstands ging Landstrich um Landstrich verloren. Und die Ordensritter schreckten nicht einmal davor zurück, Kinder niederzureiten, die sie dazu erzogen hatten, in den Tempeltürmen Loblieder auf ihren kaltherzigen Gott zu singen. Die Elfe hatte von fern mit angesehen, was auf der Brücke an der Bresna geschehen war, nachdem Mereskaja erstürmt worden war. Keinen Respekt vor dem Leben hatten sie, die verfluchten Ordensritter. Nicht einmal ihr eigenes Leben achteten sie hoch! So viele Ritter waren heute auf der Lichtung im
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