Die Ordensburg: Elfenritter 1 - Roman
von sommerlichem Sprühregen benetzt.
»Gunnar, komm!«, rief sie, während ihr Blick noch immer von den Schrecken am Ufer gefangen gehalten wurde.
Der König antwortete nicht.
Fenryl winkte ihr zu und rief etwas, doch seine Stimme wurde vom erneuten Donnern der Kanonen verschlungen.
»Schnell!« Yulivee wandte sich um. Sie wollte Gunnar bei der Hand fassen und verharrte mitten in der Bewegung. Der König stand nicht mehr neben ihr!
Verwirrt blickte sie zum Ufer.
Etwas berührte ihr Knie.
Im Wasser, leicht von der Dünung bewegt, lag der massige Leib des Herrschers. Seine ausgestreckte Hand strich im Rhythmus der flachen Wellen über ihr Knie. Blut breitete sich in dunklen Wolken im Wasser aus, das silbern im ersten Mondlicht glänzte.
Yulivee wollte schreien, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Der Schock hatte ihr die Stimme geraubt.
Sie sank auf die Knie und tastete über den Halsstumpf des Königs, so als könnten ihre Hände ihr eine andere Wirklichkeit offenbaren als ihre Augen.
Tränen ließen ihren Blick verschwimmen. Halb blind suchte sie im Wasser. Der Kopf Gunnars war verschwunden, zerschmettert von einer Kanonenkugel.
Heiße Wut stieg in Yulivee auf. Sie kam aus dem Bauch, brachte ihr Blut in Wallung und ließ keinen anderen Gedanken mehr zu. Die Elfe tastete nach dem langen, schmalen Holzetui, das zwischen den Flöten in ihrem Gürtel steckte.
Leise klickend sprang der Verschluss auf. In roten Samt gebettet, lag eine schwarze Flöte, gefertigt aus dem Vulkanglas Phylangans. Ein einziges Mal nur hatte sie auf diesem Instrument gespielt. Die dunkle Kraft der Magie, die dieser Flöte innewohnte, hatte sie damals so sehr erschreckt, dass sie das Instrument nie mehr berührt hatte. Sie hatte den Zorn all der Streiter fühlen können, die einst in Phylangan gefallen waren, und das Feuer des Vulkans.
Die steinerne Flöte fühlte sich in ihrer Hand warm an, und als sie darauf spielte, gab Yulivee all ihre Wut und ihren Schmerz in die Melodie, die sich mit der Magie des Landes verband. Ein glühender Funken, kleiner als ein Glühwürmchen, wurde aus dem Dunkel der Nacht geboren. Er folgte den Bewegungen der Flöte, tanzte und wob einen dünnen Lichtfaden. Immer mehr und feinere Linien erschienen, verschmolzen miteinander und formten das plastische Bild eines Vogels. Dann teilte sich die Kreatur aus Licht. Zwei Nachtigallen aus orangeroter Glut streckten ihre Flammenflügel.
Yulivee nahm die Macht des Landes in sich auf, das frisch vergossene Blut, die Macht der Flöte und des Liedes. Und dann gab sie ihren brennenden Zorn dazu. Sie ließ der Magie mehr ihren freien Lauf, als dass sie sie bewusst formte.
Die Nachtigallen flogen aufeinander zu, verschmolzen, und als sie sich trennten, waren es vier. Kaum bewusst nahm Yulivee ein leises Knistern wahr. Ihre Kleider waren steif geworden. Der Atem stand ihr in hellen Wolken vor dem Mund, und eine dünne Haut aus Eis überzog das Wasser und griff hinaus auf den See.
Die heiße Wut der Magierin ließ sie die Kälte ebenso ignorieren wie die Hitze, die von den Flammenschwingen der Vögel ausging. Mehr als ein Dutzend waren es jetzt. Immer schneller vermehrten sie sich.
Das Eis rings um Yulivee war nun schon mehrere Zoll dick, als ihr Flötenspiel einem wilden Höhepunkt entgegenstrebte.
Plötzlich brach sie die Melodie ab, streckte den Arm aus und wies auf das größte Schiff. »Fliegt, meine Kinder, fliegt! Sucht die schwarze Gabe des Devanthar!«, hauchte sie mit blauen Lippen.
Wieder brüllten die Kanonen der Ordensschiffe. Der Strand war längst verlassen. Die Kugeln brachen ins Unterholz.
Die Nachtigallen schrumpften zu einem Schwarm glühender Lichtpunkte, die Flammenschweife hinter sich herzogen. Sie verschwanden im schwefligen Rauch, der über dem Wasser trieb.
Yulivee hörte einen Alarmruf. Immer noch griff das Eis weiter hinaus auf den See, obwohl sie ihren Zauber vollendet hatte. Die Magierin schloss die Augen. Sie konnte fühlen, was geschah.
Die Glutvögel kreisten um die Masten. Einer stieß hinab. Seine Schwingen berührten die ledernen Pulverkartuschen am Brustbandelier eines Arkebusiers. Wie ein heißes Messer durch Eis, so schnitten die Flügel durch das Leder. Die kleinen Pulverladungen explodierten. Schreiend und mit den Händen fuchtelnd, versuchte der Schütze den Vogel zu vertreiben. Yulivee konnte den Schmerz des Mannes spüren, als er einen der Nachtigallenflügel streifte.
Ein anderer Vogel stieß hinab auf ein
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